Es wundert mich wenig, dass viele Anhänger "klassischer Abenteuer" sich für SC im Rahmen eben solcher aussprechen, denn die Einstellung resultiert womöglich aus der Erfahrung des überwiegenden Angebots von Abenteuerszenarien für nicht zu machtvolle SC. Obgleich das gerade für DSA zutreffen mag, dessen (wenn nicht systematisches, so doch auffälliges) SC-Kleinhalten häufiger kritisiert wurde, gilt es bei weitem nicht nur für DSA.
Ich teile die Position von
@Eadee (wenn auch vlt. nicht in der besonderen Betonung der SC als Helden, aber das ist ein streitbarer Begriff) und habe mit hocherfahrenen SC in angemessenen Szenarien bzw. angesichts passender Herausforderungen die besten Spielerfahrungen gemacht. Insofern das Spiel von interessanten Handlungsoptionen lebt und ein Abenteuer-Szenario von einer krisenhaften Situation bestimmt wird, sind es eben Entscheidungen, die das Spiel interessant machen. Und diese Entscheidungen gewinnen andere Qualitäten, wenn die SC nicht alles von einer höheren Instanz vorgegeben bekommen oder im Rahmen ihrer allzu begrenzten Möglichkeiten nur wenig Spielraum haben. Der Kitzel im Spiel mit der Macht (wo sie nennenswert ist) ist ein anderer und es bedarf einiger Vorbereitung, ihn in Spielsituationen erlebbar zu machen - Vorbereitungen, für die ich mir mehr Unterstützung durch DSA-Publikationen wünschen würde.
Problematischer Weise sind selbst so interessante Szenarien wie "Blutige See" (in dem Vgl. unter dem untersuchten Aspekt sicher das gelungenere Werk) oder "Von eigenen Gnaden", in denen die SC maßgebliche Machtmittel an die Hand bekommen, ziemlich klassisch verfasst. Im Grunde wird eine Ansammlung verschiedener Abenteuer-Szenarien geboten, für die die Machtbasis eher die Kulisse darstellt, aber nicht die eigentliche Verhandlungsmasse der Kampagne, die Trumpfkarte in der Handlungsgestaltung.
Die Tendenz, dass DSA-SC eher "Miterleber" als "Gestalter" sind, hat mit DSA5 nicht abgenommen. Die o.g. Beispiele entstammen DSA3 und DSA4. Und sie gehören gewiss nicht grundlos zu den beliebtesten Werken. Womöglich kann Ähnliches über "Die Herren von Chorhop" gesagt werden, aber mit dem Band habe ich mich noch kaum auseinandergesetzt. Es spricht einiges dafür, dass ein Spiel mit machtvollen und entscheidungsträchtigen SC seine Klientel hat oder eine stärkere hätte, würde es mehr bedient werden. Es spricht wenig für eine allgemeine Tendenz, dass SC ab einer bestimmten Erfahrungsstufe ihren Abenteuerhut an den Nagel hängen. Oder sagen wir: Dafür spricht einiges, aber sie würden den Hut vielleicht gerne gegen die Krone eines Herrschers, die Tracht eines Inquisitors oder die Sturmhaube eines Söldnerführers tauschen.
Neben den passenden Spielhilfen - ja, hier und da gibt es Vereinzeltes, aber eben nicht mehr (und der fragmentarische Charakter solcher Spielhilfenschnipsel ist nicht eben hilfreich) - fehlt es auch an Regelunterbau, angemessenen High-End-Sonderfertigkeiten in allen Bereichen. Was bei DSA5 "brillante..." heißt, spiegelt dies in den Möglichkeiten, die dadurch geboten werden, keinesfalls wider. Und auch bei DSA4 war mit Eigenschaftswert 15/16 das Ende der Fahnenstange erreicht; alles darüber hinaus waren überschüssige AP, die jedoch keinen adäquaten Spielnutzen mehr produzierten. Ich will die beiden Ebenen - Settings für machtvolle SC und High-End-Regeln - nicht allzu sehr verquicken, ehe noch jemand moniert, dass der Grenzbaron, der Inquisitor für die Schattenlande oder der die Taifas gegeneinander ausspielende Söldnerführer nicht jeweils Schwertkönig oder halber Heiliger sein müssen. Aber der Mangel in beiden Ebenen ist meines Erachtens symptomatisch für ein Desinteresse an mächtigen (im doppelten Wortsinn: hinsichtlich individueller Fähigkeiten sowie politischer Macht) SC.
Aryador hat geschrieben: ↑20.08.2020 16:17
Inwieweit genau diese Situation jetzt besser ist, als den Spielern prinzipiell zu sagen "Ihr könnt das alles machen, dann seid eben so kreativ, und ändert künftige offizielle Abenteuer entsprechend ab." verstehe ich nach wie vor nicht. [...]
Ich glaube ehrlich gesagt, dass der Wunsch nach besonders mächtigen und einflussreichen Charakteren ein spezieller Wunsch von eher langjährigen Spielern ist, und solchen Spielern traue ich zu, das auch ohne entsprechende Spielhilfen durchzusetzen.
Wolfio hat geschrieben: ↑21.08.2020 01:40
Da aber nun extra für solche High-End-SCs Sonderfertigkeiten und Co zu fordern... Abenteuer vielleicht noch. Aber neue Fähigkeiten....
Da sollten die betreffenden Runden lieber selbst gucken, was sie noch toll fänden.
Das Argument: "Mach es doch selbst" ist immer noch nicht überzeugend. Wenn es in einer Spielwelt machtvolle Positionen gibt, dann sollten diese (wohl gemerkt: nicht alle, ehe das sophistisch aufgegriffen wird) auch bespielbar sein. Alles andere ist ein Defizit, das man nicht als schlimm empfinden oder bemängeln muss. Das Interesse am Bespielen solcher Positionen scheint mir angesichts des Erfolges bestimmter Abenteuerbände eher gegeben, jedenfalls nicht vernachlässigenswert.
Die Annahme, besonders mächtige SC würden nur von eher langjährigen Spielern gewünscht, halte ich zudem für falsch, jedenfalls nicht für belegbar oder plausibel halte und mehrere Gegenbeispiele kenne. Wie lange jemand bereits (P&P allgemein oder DSA speziell?) spielt und was für Machtniveaus er dabei bespielen will, hängt wohl kaum miteinander zusammen. Eher sind es doch die Vorgaben aus Abenteuern oder Spielhilfen eines Systems, die den Spielern das Spektrum möglicher Rollen vorgeben. Dieses Angebot beeinflusst natürlich auch die Konzept-Nachfrage, aber es droht doch der Zirkelschluss, will man den Zusammenhang allzu klar beschließen. Wo wir wieder beim Anfang des Beitrages angekommen wären: Die Einstellung zu Abenteuern entwickelt sich zusammen mit den Erfahrungen, die man macht; logischer Weise nicht mit den Erfahrungen, die man machen könnte.
Kurzum (und Rückgriff zum Thema): Mir missfällt nicht, dass DSA den Schwerpunkt auf Erlebnisszenarien legt, in welchen man auf der Ploteisenbahn der „lebendigen“ Geschichte beim Wachsen zusehen kann. Das gehört dazu. Mir missfällt, dass die wenigen Ausnahmen rarer geworden scheinen (dass „Heldenwerk“-Szenarien als Output-starke Produktreihe vorrangig Anfängergruppen bedienen, kann mit in die Kritik fallen). Zudem wünsche mir für solche Ausnahmen eine größere Unterstützung für das Spiel mit Macht und Entscheidungen (narrativ und hinsichtlich der Spieloptionen), als das bislang der Fall war.
Da, wenn man der Ansage zu WdV glauben mag, in der DSA-Redaktion der geringe Luxus herrscht, in einem gewissen Rahmen schreiben zu können, wozu man Lust hat (und das sei gerne unbenommen so), bleibt zu hoffen, dass irgendwann ein Autor sein Interesse und die Redaktion das Potential für diesen Aspekt des Spiels und für eine Art „DSA Ascension“ feststellt.