Rollenspiel in der Mittelalterdarstellung

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Ulrich
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Rollenspiel in der Mittelalterdarstellung

Ungelesener Beitrag von Ulrich »

Ich eröffne mal einen neuen Thread, da das Thema in diesem Thread langsam OT wurde.
Feyamius hat geschrieben:
Ulrich hat geschrieben:
Ich kann auch einen Bauern/Handwerker/Adeligen anhand seiner Ausrüstung darstellen *ohne* eine konkrete Rolle anzunehmen.
Nein kannst du nicht. Du kannst nur wie einer aussehen.
Aber vielleicht liegt es einfach nur an der Auslegung des Wortes "darstellen"?

Und ja, ich meine Märkte.
Ok, dann lass uns erstmal festhalten, daß Reenactment nichts mit Märkten zu tun hat. Auf einem Markt wird kein überliefertes historisches Ereignis nachgestellt, es wird (üblicherweise kläglich schlecht) versucht, mittelalterlichen Alltag darzustellen.

Nun zur Darstellung. Ich sehe hier 2 Mögliche Ansätze: Den lehrreichen und den unterhaltsamen. Beides ist nicht zwangsläufig vereinbar, und meiner Erfahrung nach schlagen 95%+ der Darsteller auf Märkten ersteren ein. Das bedeutet für mich, daß es primär darum geht Spaß zu haben, also sowohl sich selbst untereinander als auch das Publikum zu unterhalten. Historische Korrektheit tritt hier in den Hintergrund, und niemand schert sich darum, ob ein falsches Bild vom Mittelalter gezeichnet wird. Dazu gehört z.B. "Marktsprech", das mit der damaligen Sprache einfach nichts zu tun hat, aber für's Publikum "so schön altbacken" wirken soll, dazu gehört, daß man u.U. Dinge vorführt, die es damals so nicht gegeben hat (Feuershows, kämpfende Damen, Schaukampf aus Hollywoodfilmen statt Fechtbüchern, moderne "mittelalterliche" Musik, etc.), und dazu gehört eben auch, daß man versucht, in einen Charakter zu schlüpfen ohne die geringste Ahnung zu haben, wie die Menschen damals gedacht, gehandelt und geredet haben - also völlig mutmaßend und ohne historischen Hintergrund.

Darum sieht mein Ansatz auch anders aus und ich meide inzwischen Märkte. Was recherchiert werden kann, wird recherchiert und nachgebaut/gekauft (eben Ausrüstung und Kleidung), was man einfach nicht wissen kann (Verhalten und Charakter) wird konsequenterweise weggelassen. Darum bekommt man von mir in Gewandung zwar vielleicht eine halbwegs Fachkundige Auskunft zu meiner Rolle - Gewandung, Ausrüstung und ggf. auch Lebensumstände soweit bekannt - aber in moderner Sprache, mit meinem eigenen Namen und ohne aus Historienfilmen abgeschauten Charakterzügen. Das wäre für mich genauso verlogen wie einen Jutesack mit Löchern als "echt doll historische Gewandung" zu deklarieren.

Wenn ich eine Rolle spielen will gehe ich auf eine LARP-Con, auf einer historischen Veranstaltung lasse ich davon die Finger.

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Feyamius
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Ungelesener Beitrag von Feyamius »

Ja, wenn man das so klar sieht, ist das auch vollkommen in Ordnung.

Aber wenn auf Märkten oder sonstigen "mittelalterlichen" Veranstaltungen jemand schief angesehen wird, weil seine Gewandung nicht den richtigen Stoff hat, oder eine Farbe die nicht zu seinem dargestellten gesellschaftlichen Stand passt, oder eine damals unübliche weil ohne Nähmaschine so gut wie unmöglich zu fertigende Naht seine Gewandung zusammenhält...

Dann kann ich dazu nur sagen: Wenn ihr es so genau darstellen wollt, dann seid erstens nicht Michael der Elektriker von nebenan den gab's damals nämlich noch nicht, und zweitens lernt bitte auch Mittelhochdeutsch und lasst dieses "Ey, Alta!"... oder drittens: haltet einfach die Klappe!


Bye, Feyamius...
...wenn dann richtig.

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Ulrich
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Ungelesener Beitrag von Ulrich »

Ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn jemand nur auf einen Markt kommt, um Spaß zu haben ohne erst jahrelang zu recherchieren und zu replizieren (auch wenn das für *mich* der Spaß daran ist). Nur: Es soll doch bitte jeder zu seinem eigenen Anspruch und der Qualität seiner Ausrüstung stehen. Ich habe darum auch nur ein Problem mit Leuten, die mir eine Schlunzklamotte aus BW-Stiefeln, Mutters Flokatiteppich und dem Conan-Schwert auf Biegen und Brechen als "authentische Wikingergewandung" verkaufen wollen, und die dann sauer werden, wenn man sie darauf hinweist, daß sie Müll reden. Und das gleiche gilt hier für mich auch für Rollendarstellung und Sprache: Wenn jemand eben mit Marktsprech kommt und selbst sagt, daß das eben zur Belustigung der Zuschauer ist oder weil's ihm Spaß macht - ok. Wenn er mir erzählen will, daß man im Mittelalter wirklich so gesprochen hat - s.o.
Und: Man muß hier ganz klar den Anfänger, der es (noch) nicht besser weiß vom völlig belehrungsresistenten MA-Veteranen unterscheiden.

Alles in allem gehört schon einiges dazu, bevor mich jemand dazu bringt, über dessen Gewandung o.ä. herzuziehen.

Bei sowas mache ich mir dann wirklich Sorgen, daß diese Leute dann ihr Nichtwissen an die Besucher weitergeben. Das Bild vom Mittelalter ist durch Historismus, Die Nazizeit und schlechte Filme doch schon wirklich genug verzerrt...

(Nebenbei: "Ey, Alter" halte ich ja schon in authentischen Darstellungen des 21. Jhds. für eher grenzwertig ;) )

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Feyamius
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Ungelesener Beitrag von Feyamius »

Ja, wie man im Mittelalter wirklich gesprochen hat... eines der großen Mysterien. Sowas würde mich wirklich mal interessieren. Aber ohne borher Mittelhochdeutsch lernen zu müssen. Und selbst wenn man die Sprache können würde, würde das nichts darüber aussagen, wie die Menschen auch wirklich gesprochen haben. Wie war ihre Wortwahl? Wie groß ihr Wortschatz?
Es muss doch extrem viele regionale Unterschiede (Dialekte) gegeben haben.

(Nebenbei: Bist du schonmal Straßenbahn oder Bus gefahren?)

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