Ich finde die Diskussion irgendwie faszinierend. Es geht darum, ob man darstellen kann, was der Char für Talente hat... und irgendwie scheint jeder automatisch davon auszugehen, das es nur bei Gesellschaftlichen und Wissenstalenten (da schon eingeschränkt) darauf ankommt. Niemand kommt auf die Idee, bei einer Sprung oder Kletter Situation vom "Klettern 18" Klettergott zu verlangen, das er das mal eben kurz an der Hauswand demonstriert... und das ist natürlich auch gut so.
Gesellschaftliche Talente sind insofern etwas anders, als das man sie am Tisch sitzend überhaupt ausspielen kann. Aber irgendwo muss immer eine Grenze sein.
Die Aussage "man kann nur darstellen, was man selbst auch im RL kann" halte ich für den größten Unfug, denn das würde das Rollenspiel praktisch eliminieren. Selbst die Welt würde ja automatisch nur aus Männern (oder nur aus Frauen) einer Altersgruppe bestehen, Nichtmenschen gäbe es per definition nicht und vermutlich gäbe es keinerlei Räuber und Banditen, weil ich einfach mal unterstelle, das die wenigsten Spielleiter Räuber und Banditen sind.
Für mich ist Rollenspiel am besten zu vergleichen mit Improvisationstheater. So weit es geht versucht man die Werte seines Chars darzustellen und wenn das eben nicht mehr geht, greift man zu den Würfeln.
Was spezifisches Fachwissen angeht, bin ich als SL seit Jahren dazu übergegangen entsprechende Fragen meiner Spieler mit "die Situation verhält sich physikalisch/mathematisch/geologisch/biologisch/etc. korrekt" zu beantworten. Wenn also jemand fragt ob dies oder jenes der Fall ist, und ich keine Ahnung habe, was da "normal" wäre, aber ich als SL weiss, das die Situation normal ist, dann sage ich, das es normal ist... Es bringt keinem was, wenn ich die Situation beschreibe, wie ich sie mir vorstelle, nur damit dann ein Geologe/Biologe/Soziologe mir sagt "ach gut, daraus kann man schliessen, das..."...wenn ich eben diesen Schluss gar nicht beabsichtigt habe.
Um das Rollenspiel dabei immer noch im Vordergrund zu haben, spielen wir Interaktionen zwischen Chars und mit NSC soweit es geht aus. Wenn ich dann als SL der Gruppe irgendeine wilde Geschichte erzähle, dann steht ihnen frei, mir das abzunehmen oder nicht abzunehmen... oder sie sagen, das sie Menschenkenntnis anwenden wollen, das würfel dann ich und gebe ihnen eine Einschätzung, wie die vorher gemachte Aussage von ihren Charakteren interpretiert wird (Beispiel: "Der Schmied scheint reichlich nervös zu sein" .. was dann immer noch offen lässt, ob die Gruppe ihn einschüchtert, oder er sie anlügt).
Aber grade wenn es um solche sozialen Fähigkeiten wie "Betören" geht, bin ich mir sicher, das keiner meiner Spieler (alle um die 45, eine Frau, Rest Männer) möchte, das ihr 25-jähriger schmucker Held von einer von mir als SL dargestellten "Dame" in ausgespieltem Rollenspiel bezirzt wird. Ich kann euch versichern, das das für keinen am Tisch ein Vergnügen wäre
Was Grundwerte angeht, wird immer gerne angeführt, das man als RL-Stinkstiefel ja keinen klugen, weisen oder charismatischen Charakter spielen kann... was beim Charisma eventuell stimmt, aber das sehe ich als Herausforderung, weil man das Verhalten Stinkstiefel vs. Prince Charming am ehesten schauspielern kann und das ja auch irgendwo den Reiz ausmacht, etwas anderes zu verkörpern als sich selbst. Was Klugheit und Intuition angeht, so haben die meisten Menschen den Vorteil, das unsere Allgemeinbildung bereits weit über das hinausgeht, was Alrik aus dem Mittelreich mit seinen 20 Sommern so gelernt oder gehört hat. Somit lassen sich hohe Werte eigentlich leicht darstellen, indem man sich einfach nicht zurück nimmt. Viel schwieriger ist es, einen dummen Char zu spielen, weil es den Spieler unheimlich einschränkt. Man hat die zündende Idee, man weiss die beste Taktik, man hat des Rätsels Lösung (buchstäblich), aber der Char hat Klugheit 9 und kommt eben einfach nicht auf entsprechende Zusammenhänge. Den tumben Haudrauf Wienix zu spielen macht eine Weile Spass... dann aber schnell nicht mehr, wenn es grade mal nichts zu verkloppen gibt.
Der Reiz des Unbekannten und der Reiz "mal etwas anderes zu sein" als der langweilige Bürojob oder was immer man im RL macht, ist doch das, was viele von uns zum RPG gebracht hat und dabei hält. Das will doch niemand auf eine rein passive "third person" Beschreibung reduzieren... andererseits sind wie P&P Rollenspieler... wir wollen nicht fühlen, das unserem Char grade die Zehen abfrieren, oder das er durch zahlreiche Wunden grade ausblutet, oder das er vergiftet/verzaubert ist und sich in Krämpfen windet.
Der gesunde Mittelweg ist wie so oft vermutlich die beste Lösung.