A. Vorrede
Nachdem ich mich vor der Stellungnahme aktiv und in vorderster Linie zu dieser Enthüllung geäußert hatte, musste ich nach den Angaben im Verlagsforum erstmal meie Gedanken ordnen und mir überlegen, was ich daraus ableiten will. Ich denke, dass Ifram damit richtig liegt, dass es -bei uns allen- einen großen unbewussten Wunsch gibt, dieses Thema ohne Makel für Odysseus ad acta legen zu können. Daraus speisen sich einerseits die -wie ich jetzt finde- zahlreichen frühen Äußerungen direkt nach der Stellungnahme mit dem Inhalt, dass das Thema durch sei, und andererseits der verächtliche Umgang mit den Postern, die das anders sehen. "Denn es darf einfach nicht sein" ist der unbewusste Impuls, den ich dahinter vermute.
Ich selbst habe mir meine Meinung jetzt gebildet: Die "Stellungnahme" lässt mich unbefriedigt zurück. Über weitere Konsequenzen für mein zukünftges Kaufverhalten bin ich mir im Unklaren. "Eigentlich" (das Unwort!) habe ich aufgrund meines heranrasenden Examens gar keine Zeit für diese lange Stellungnahme. Ich habe jetzt aber schon wieder viel zu lange mit Nachdenken darüber verbracht als hier nichts zu schreiben. Ich habe mir aber vorgenommen, meine Beiträge damit zu beenden.
B. Vorfrage: Wie schlimm ist "Der Landser"?
Die Diskussion leidet bereits daran, dass hier offenbar unterschiedliche Ansichten darüber existieren, wie schlimm dieses Produkt eigentlich ist. Dabei handelt es sich dabei um eine Vorfrage für die weitere Diskussion. Wenn man den "Landser" nicht soo schlimm findet und als normales, "vlt. ein bißchen beschönigendes" Stück nostalgischer Altherrenliteratur begreift, dann ist es naheliegend, dass man Odysseus keine weiteren Vorwürfe machen kann und will. Was
etwas neben der Spur liegt, ist nicht sonderlich schlimm.
Für mich ist aber klar, dass es sich bei dem "Landser" um ein Programmheft verklärender nationalsozialistischer Propaganda handelt. Ich kann nur jedem empfehlen, sich bei Amazon oder anderswo so ein Heft anzusehen. Ich hatte in diesen Tagen über die Uni das "Glück". Die Verklärung des Wehrmachtssoldaten in Heldengeschichten ist Geschichtsrevisionismus. Wehrmachtssoldaten waren Mörder. Sie haben sich an einem Angriffskrieg beteiligt und -zumeist wissentlich- an Kriegsverbrechen unaufklärbarer Anzahl und singulärer Schwere teilgenommen; darunter das einzigartige Weltverbrechen Holocaust ermöglicht. Die Darstellung des Massenverbrechensapparat "Wehrmacht" wird durch dieses Produkt hingegen verklärt. Der Mythos der sauberen Wehrmacht ist die Fortsetzung der Dolchstoßlegende auf einen anderen Weltkrieg; nur geht es bei der Wehrmacht um einen anderen Vorwurf als bei der Dolchstoßlegende.
Vor diesem Hintergrund ist der "Landser" für mich deutlich jenseis des Erträglichen. Daran änder auch nichts, dass er nicht verboten ist. Die NPD ist auch nicht verboten. Wenn hier diese Ebenen (staatliches Verbot - private Missbilligung) vermischt werden, zeigt sich darin einerseits eine bemerkenswerte Unbeholfenheit bei Diskussionen zu diesen ethisch-politischen Themen. Es drückt andererseits in typisch deutscher Weise eine Staatsergebenheit aus, die für den Umgang mit Rechtsradikalismus in unserer Gesellschaft bezeichnend ist und offenlegt, warum die Gesellschaft nicht ausreichend gegen Rechtsextremismus mobilisiert: Zivilcourage und private Initiative wird als undemokratisches Verhalten delegitimiert. Die Grenzen staatlicher Verbote eines demokratischen rechtsstaatlichen Gemeinwesens sind aber nicht die Grenzen der Missbilligung guter Demokraten. Der demokratische Rechtsstaat muss mehr erlauben als der rechtsstaatliche Demokrat mag. Deswegen ist es vollkommen irrelevant, wie sich der Staat gegenüber diesem Produkt verhält. Entscheidend ist für mein Urteil allein meine Einschätzung des Produkts: Es ist NS-Propaganda in heutiger Zeit. Und dementsprechend gehe ich auch damit um, welchen Vorwurf man Odysseus ggf. machen kann. Dazu nun jetzt.
C. Die Stellungnahme und die anzulegenden Wertungskategorien: Erfolgs- und Handlungsunwert
Odysseus hat in seiner Stellungnahme zum Ausdruck gebracht, dass der Vertriebsvertrag bereits aufgekündigt ist und im April enden wird. Dadurch hat man aber die wesentliche Frage -wesentlich für die ethische Bewertung- nicht beanwortet. Maßgeblich dafür muss der Handlungsunwert sein; mithin, warum Odysseus den Vertrieb übernommen hat und warum er eingestellt wird. Die Beendigung der Vertragsbeziehungen beseitigt -für die Zukunft- nur den Erfolgsunwert. Das genügt nicht, um Odysseus rein zu waschen.
Denn bei richtiger ethischer Betrachtung muss man maßgeblich auf den Handlungsunwert blicken statt auf den Erfolgsunwert. Der Handlungsunwert von Odysseus ist aber nach wie vor unbekannt. Wenn hier zur Entschuldigung von Odysseus bzw. Beendigung des Themas argumentiert wird, dann alleine mit Blick auf den Erfolgsunwert: "Ab April ist ja Ende!"
I. Begriffe
Deontologische Ethik unterscheidet bei der Bewertung von Verhalten u.a. nach den Kategorien Erfolgs- und Handlungsunwert. Mit Erfolgsunwert ist der verursachte Zustand gemeint, der in der "Außenwelt" eintritt. Mit Handlungsunwert bezeichnen wir das Merkmal der subjektiven Einstellung des Handelnden zu diesem Erfolg: Wollte er ihn oder nicht?
II. Beispiele
1. Zunächst ein Beispiel aus dem Strafrecht, welches ja "abgeleitete Vorwurfsethik" ist: Person A wird von Person B mit dem Auto getötet. Es macht einen Unterschied, ob B den Tod des A wollte oder ob er ihn nur fahrlässig oder sogar ganz ohne jede Fahrlässigkeit verursacht hat. Jedenfalls ist aber der Erfolgsunwert identisch: A ist tot. Trotzdem behandelt die Rechtsordnung die Fälle nicht gleich, sonder sehr unterschiedlich. Handelt B vorsätzlich, geht er bis zu lebenslänglich ins Gefägnis. Hat B aber nur fahrlässig gehandelt, bekommt er maximal 5 Jahre. Hat er sogar ohne Fahrlässigkeit gehandelt, bekommt er gar nichts. Und jetzt erst die Pointe: Wenn B nur willentlich versucht, den A umzufahren, es aber nicht schafft, dann gibt es gar keinen Erfolgsunwert, sondern nur Handlungsunwert. Und B bekommt dann ebenfalls bis zu lebenslänglich. Daran sieht man, dass die Rechtsordnung das Handlungsunwert viel wichtiger nimmt als den Erfolgsunwert: Wer versehentlich ohne Fahrlässigkeit (und damit ohne Handlungsunwert) einen Menschen tötet (und damit einen großen Erfolgsunwert verursacht), geht nach Hause. Wer einen Menschen töten will (Handlungsunwert), es aber nicht schafft (kein Erfolgsunwert), der geht evtl. lebenslänglich ins Gefängis.
2. Das entspricht auch der Alltagsbewertung: Wen mir jemand in der Mensa aufs Essen spuckt, dann mache ich ihm einen größeren Vorwurf, wenn er es absichtlich tut (und verfehlt) als wenn er es versehentlich tut. Beim ersten Fall gibt es nur den Handlungsunwert, beim zweiten Fall nur den Erfolgsunwert.
III. Schlussfolgerungen
Warum diese Erläuterungen? Weil sie aufzeigen, dass Odysseus den wichtigen Aspekt zur Bewertung des Vorgangs bislang nicht adressiert hat. Es ist für mich wichtig zu wissen, warum das Produkt in das Vertriebsprogramm kam und warum es ab April nicht mehr dort drin ist. Nur wenn es eine Antwort darauf gibt, weiß ich, ob Herr Truant den Vertrieb des Landsers bewusst in Kenntnis seiner unverantwortlichen Inhalte eingegangen ist oder nicht. Aber genau das möchte ich wissen.
Das ich mir diese Argumentationslinie nicht nach der Stellungnahme ausgedacht habe, "um etwas zu kritisieren zu haben", sieht man daran, dass ich auch schon vorher geschrieben habe:
Heldi am 01.Jan um 15:42 Uhr hat geschrieben:Ich bin sehr gespannt auf Odysseus Reaktion. Und bislang mache ich ihm auch gar keinen Vorwurf. Es sind Szenarien vorstellbar, in denen man Odysseus keine wirklichen Vorwürfe machen kann, sondern die Sache (Erwerb der Restposten) auf einer Mischung aus Ungenauigkeit und Unkenntnis beruht. Nicht jeder muss wissen, was in dieser NS-Propagandaliteratur steht; wobei der Name jedenfalls schon verdächtig ist und die Erklärung von Odysseus daher gut sein sollte. Wenn da so ist, gibt aus meiner Sicht kein Problem. Dann bestelle ich morgen die nächsten Bücher und erwähne dieses Unglück nie wieder.
Aus dem Erfolgsunwert (tatsächlicher Vertrieb des Produkts) habe ich also selbst nichts abgeleitet außer der Befürchtung des Handlungsunwertes, der darin liegen würde, dass Odysseus wusste, was er da vertreibt.
Wieder am Beispiel: In meiner Heimatstadt betreibt ein älterer Herr eine kleine Boutique. Plötzlich wurden dort auch Waren der Marke "Thor Steinar" -kurzer Einschub: Ich empfehle den Kauf der satirischen Gegenmarke "Storch Heinar"- entdeckt; ein bekanntes Label von und für Nationalsozialisten. Er konnte aber glaubhaft versichern, dass er die auf den ersten Blick nicht direkt erkennbare Bedeutung nicht gekannt habe. Die Marke verschwand aus dem Sortiment und alles war wieder gut, ohne dass ihm ein wirklicher Vorwurf gemacht wurde. Es wäre natürlich anders gewesen, wenn er es gewusst hätte.
IV. Ergebnis
Hinsichtlich des Handlungsunwerte stehe ich aber nach wie vor fragend da. Auch nach dem Eingang der Stellungnahme sind nach wie vor Szenarien denkbar, in denen Odysseus -aus Begeisterung über die Möglichkeit, den von ihm geliebten Perry Rhodan vertreiben zu können- im Kleingedruckten nicht gelesen hat, welche anderen Zeitschriften man sich damit einhandelte. Sonderlich "professionell" wäre das allerdings nicht. Vlt. stand im Vertrag aber auch nur unbestimmt, dass auch andere Zeitschriften je nach Warenbestand im Paket sein würden und eine unwissende Person hat die Zeitschriften dann dort im Shop eingestellt ohne das je jemand über den Inhalt geforscht hat. Das ist der Strohhalm, an den ich mich klammere.
Aber es ist mindestens ebenso gut denkbar, dass Odysseus den Vertrieb -"vor lauter Freude über die Möglichkeit Perry Rhodan vertreiben zu können"- wissentlich in Kenntnis des Inhalts in Kauf genommen hat. Wäre das akzeptabel? Für mich nicht. Ich kaufe auch keine zehn Gucci-Hemden (meine bevorzugte Kleidungsmarke), wenn ich dafür im Paket ein "Thor Steinar"-Hemd nehmen muss.
D. Schlussfolgerungen
Die Stellungnahme hat die entscheidende Frage mithin nicht aufgeklärt. Das erleichterte Stöhnen hier im Forum war vielmehr umsonst. Freilich erwarte ich nicht, dass die Stellungnahme noch darum ergänzend wird. Aus Sicht von Odysseus ist das durchaus verständlich: Man muss sich nämlich entweder als reilich unprofessionelle Hobbytruppe (wenn man sich über den Inhalt der Hefte bzw. des Vertriebsvertrages nicht informiert hat) oder als opportunistisches Helferlein von NS-Propaganda outen.
Auch ist klar, dass wir keinen Rechtanspruch auf weitergehende Aufklärung haben. Aber O. muss mit meinen Konsequenzen im Kaufverhalten leben; nämlich das ich ggf. den Verstoß gegen das Copyright als das kleinere Übel ansehe. Ob das so kommt, weiß ich wie gesagt noch nicht. Vielleicht liegt das daran, dass ich Odysseus den Zweifelssatz ("in dubio pro reo") zu Gute halte. Und das heißt dann hier: Besser dumm/unprofessionell statt böse/opportunistisch!
E. Nachtrag
Neben dem Thema des Threads hat mich an der Diskussion die Leichtfertigkeit berührt, mit der hier teilweise mit dem Thema des Rechtsradikalismus umgegangen wird. Es ist im gesellschaftlichen Leben erschreckend, wie gering die Beteiligung an Gegendemonstrationen ist und wie uninteressiert die Bevölkerung diesem Problem gegenüber steht. Ich denke, dass sich das hier einfach fortsetzt. Hinzu kommt die angesprochene obrigkeitsstaatliche Hörigkeit: "Wenn der Staat nicht verbietet, wird es schon nicht so schlimm sein". Bekanntlich hat dieser Mangel an zivilgesellschaftlichem Bewusstsein den damaligen Nationalsozialismus erst mit möglich gemacht.