Der Wanderer hat geschrieben: ↑16.10.2017 16:00
Das Problem ist das, was danach kommt. Und das ist in unserer Gesellschaft keinesfalls notwendig, wie Eulenspiegel richtig schreibt, aber faktisch der Job der Frau. Und das kann dann schnell mal eine massive Benachteiligung werden, gerade wirtschaftlich, aber nicht nur.
Ob das aber nun immer eine bewusste und freiwillige Entscheidung ist, bezweifel ich.
Danke, genau darauf wollte ich hinaus.
Es ist durchaus manchmal die Entscheidung sowohl freiwillig als auch bewusst - nur dass die Entscheidung angesichts anderer Umstände anders ausgefallen wäre und nicht allzu frohen Herzens erfolgt ist.
Das fängt ja schon damit an, dass die Sozialisation nach wie vor dahingeht, dass Frauen für die Kindererziehung zuständig seien, jedenfalls weit eher für die Männer, die sich nach wie vor gern eher als Versorger sehen. Ist es wirklich freiwillig, wenn man diese Rolle verinnerlicht hat und von außen zudem noch in sie gedrückt wird?
Fragst du den einen oder anderen Mann oder auch diverse jüngere Frauen, sind die Frauen, die das so annehmen, selbst Schuld. Sie "müssten" es ja nicht. - Faktisch richtig.
In der Praxis sieht es dann so aus, dass noch während der Schwangerschaft das Paar zuversichtlich und fortschrittlich meint, beide wollten sich zu gleichen Teilen um das Kind kümmern, und beide evtl. Teilzeit arbeiten.
Nun geht es häufig (nach eigenen Beobachtungen - selektive Wahrnehmung also nicht ausgeschlossen
) so weiter:
Beide sprechen deswegen bei ihren Arbeitgebern vor. Beide bekommen mitgeteilt, dass das nicht auf Gegenliebe stößt und die eine oder andere negative Konsequenz nach sich ziehen wird, von finanziellen Einbußen mal abgesehen. Für die lange anvisierte Weiterbildung im nächsten Herbst wird jetzt auch jemand anders berücksichtigt, da er ja danach erstmal ein halbes Jahr nicht da ist und danach evtl. erstmal nur TZ arbeiten möchte. Beförderung deswegen auch geknickt. Oder: Als Ausgleich wird ihm für die Zeit nach der Rückkehr eine besonders unbeliebte aber für TZ gut geeignete Arbeit "angedroht". - Die Gespräche verlaufen im großen und ganzen ähnlich.
Beide treffen sich abends.
Er sagt: "Das geht nicht so, wie geplant. Ich kann vielleicht 4 Monate Elternzeit machen, aber 6 auf keinen Fall und Teilzeit auf keinen Fall."
Sie: "Hmmh, okay." Sie hat sich das zwar anders vorgestellt, aber es ist schon klar, dass das nicht geht, wenn er nicht will. Und es müssen ja beide hinter ihrer Entscheidung stehen. Bei ihr ist das ohnehin einfacher, bzw. ihr fällt das Verzichten auf Privilegien im Job leichter , und "es ist ja auch für das Kind besser, wenn es gerade am Anfang mehr von seiner Mutter hat!"
Am Ende macht sie länger Elternzeit und geht danach als einzige in Teilzeit und trägt damit die Hauptlast aller Termine und Aktionen mit Kind unter der Woche zwangsläufig allein.
Das war eine freiwillige und einvernehmliche Entscheidung, und vielleicht sind sogar wirklich
beide ganz zufrieden damit. Grund dafür hat aber eigentlich nur einer, und die langfristigen Einbußen in Sachen Rente etc. trägt dafür der andere.
@Eulenspiegel wird jetzt - vielleicht - (mit Recht) sagen: "Aber dann ist sie doch selbst Schuld! Es hat sie doch niemand gezwungen! Sie hätte Ihrem Partner doch einfach die Meinung geigen können. Frauen, wenn ihr so blöd seid und im 21. Jahrhundert immer noch nicht den Mund aufmachen könnte, kann euch auch keiner helfen!"
Und ich halte dagegen: Solange Frauen auch im 21. Jahrhundert, warum auch immer, immer noch nicht den Mund aufmachen können, auch wenn sie es dürften und könnten - hat sich auch der Feminismus grundsätzlich noch nicht überlebt.
Natürlich gibt es auch viele Frauen, die gern und aus Überzeugung zuhause bleiben oder ihre Arbeitszeit reduzieren. Oder vielleicht ganz froh sind, etwas kürzertreten zu können.
Aber ich kenne doch mehr als nur ein paar Frauen, die sich zwar letztlich aus Sachgründen "freiwillig" dafür entschieden haben, aber letztlich ziemlich enttäuscht über ihre Männer und darüber waren, wie wenig von der zugesagten Unterstützung und Beteiligung letztlich übrig geblieben ist, als es ans Eingemachte ging.
Bleibt die Frage, ob das zwischen den beiden Partnern jemals angesprochen wurde? - Auch da ähnelt sich das Muster frappierend: Die zugehörigen Männer reagierten jeweils mit völligem Unverständnis und konnten nicht nachvollziehen, wo das Problem lag - und verwiesen auf die zitierte Versorgerrolle sowie darauf, wie hart sie doch für ihre Familie arbeiten würden. (Teils so hart, dass sie besagte Familie kaum noch zu Gesicht bekamen.) Schlimmstenfalls wurde den Frauen Übellaunigkeit, PMS oder postnatale Depression vorgeworfen.
Ich kann aus eigener Erfahrung (mit anderem Thema) sagen, dass das diese Art von wenig konstruktiven Gesprächen ist, auf die Frau spätestens nach dem zweiten Mal keine Lust mehr hat. Auch das ist zugegebenermaßen wenig zielführend, zeigt aber vielleicht auf, dass es nicht immer so einfach ist mit der "Freiwilligkeit" (und dem Einvernehmen).
--
Ich würde gern noch auf zwei Punkte eingehen, die ich gestern irgendwie überlesen habe.
@Tilim schreibt:
Tilim hat geschrieben:Wir leben in einer Welt in der fleißige Arbeit für viele Stunden die Woche ohne Flexibilität die Norm ist. Jemand mit viel Wert auf Privatleben und Selbstverwirklichung ist die Abweichung.
Man könnte nun darüber diskutieren, wie es gekommen ist, dass die Welt so beschaffen ist und "viele Stunden Arbeit ohne Flexibilität in einem höchst kompetitiven Umfeld" die Voraussetzung für eine erfolgreiche Karriere ist, und wer (welche Menschen) es so bestimmt haben. Also, ob es überwiegend Männer oder Frauen oder "der Markt" waren, und falls letztere, wer diesen bestimmt.
Aber ich kann auch nachvollziehen, dass das dem einen oder anderen zu feministisch oder auch einfach zu weit hergeholt ist.
Und noch zwei Sachen zu dem, was
@Eulenspiegel geschrieben hat
Eulenspiegel hat geschrieben: ↑16.10.2017 12:49Ich vermute, die Oberärzte haben sich in diesem Fall freiwillig entschlossen, mehr Zeit mit dem Kind anstatt mit der Karriere zu verbringen. (Kindermädchen kann man sich in der Gehaltskategorie bereits leisten.)
Richtig, ein Kindermädchen kann man sich leisten. Fakt ist aber: Wenn du einen weiblichen und einen männlichen potenziellen Oberarzt mit jeweils VZ arbeitendem Partner (in einem anderen Beruf) hast - und die Voraussetzunge für den OA-Posten eine VZ-Stelle ist - dann geht bei einem Mann in der Regel die Frau in Teilzeit, damit ihr Mann Oberarzt werden kann, und die Kinder trotzdem betreut sind. "Ganz freiwillig".
Bei der Frau, die Oberärztin werden könnte, geht der Mann aber im Gegenzug so gut wie nie in Teilzeit, um das zu ermöglichen - es wird eine Kinderfrau oder ein Au pair angestellt oder das Kind kommt in die Krippe. (Ausnahme evtl. Er ist im öffentlichen Dienst, wo das ohne großen Prestigeverlust möglich ist.)
Warum ist das so? - Wo hakt es da? - Sind die Frauen zu wenig egoistisch oder die Männer zu viel oder wird es den Männern durch ihre eigenen Gender-Probleme zu schwer gemacht, hier wirklich flexibel zu sein? - Und ist es wirklich überflüssig, daran etwas zu ändern, weil es auf dem Papier bereits geändert ist oder eher
sein sollte?
Dann schreibt er weiter (über eine Betreuung eines Kleinkindes von 08:00-17:00)
Eulenspiegel hat geschrieben: ↑16.10.2017 14:19Aber andererseits ist es doch super, dass die Kita so lange auf das Kind aufpasst. Dadurch können beide Elternteile von 6 bis 17 Uhr an ihrer Karriere arbeiten, wenn sie es wollen.
Erstens - das hätte ich vielleicht dazu sagen sollen - hätte das Kind morgens und abends etwa eine Stunde im Auto gesessen.
Zweitens ist eine so lange Betreuung in einer recht großen Gruppe für ein so kleines Kind wirklich Hardcore, und eigentlich nur im Notfall wünschenswert.
Drittens - und darum ging es mir eigentlich - arbeitete ja die Mutter mit weniger Stunden an einem näher gelegenen Firmenstandort und hätte dort also auch weniger Betreuungsstunden gebraucht und auch gerne wahrgenommen, ob nun bei der Stadt oder in der Firma. Es wäre also theoretisch anders gegangen. Eine
unflexible Regelung der jeweiligen Vergaberichtlinien machte das aber unmöglich.
Aber sind ja alles Details eines Einzelfalles und eigentlich gar nicht weiter wichtig. Der Punkt ist, und seine Bemerkung unterstreicht das sehr gut:
Ungebremst Karriere mit Kind kannst du - ob als Mann oder als Frau - nur machen, wenn du weiter arbeitest und als Arbeitgeber lebst,
als hättest du keine Kinder.
Wenn du dein Kleinkind von 08:00 bis 17:00 in die Krippe steckst, es morgens anziehst und fütterst und abends fütterst und ins Bett steckst, und am Wochenende Familie spielst - oder ein AuPair oder eine Kinderfrau dazu holst - oder die Großeltern mit Beschlag belegst, die sich aber häufig auch bedanken, weil sie selbst auch noch ein eigenes Leben haben... dann geht es.
Der Punkt ist aber im Grunde genau derselbe wie bei der Integration: Wenn eine Gesellschaft nur diejenigen als integriert anerkennt, die ihre eigene Identität völlig aufgeben und von der Mehrheit nicht mehr zu unterscheiden sind, und nur diejengen wirklich voll am gesellschaftlichen Mehrheitsleben teilnehmen lässt - ist es eigentlich mit ihrer Toleranz nicht weit her. (Denn diejenigen, die einige Merkmale nicht aufgeben können, wie eine andere Hautfarbe, sind dann ja von vornherein dazu verdammt, ausgeschlossen zu werden.)
Dito Familiengesetzgebung: Solange entscheidende Teile der Gesellschaft eine Umsetzung der Gesetze so erwarten, dass die Familie praktisch nicht fühlbar für Außenstehende ist und keine Rücksichtnahme erfordert, weil sie "Pirvatvergnügen" ist, kann die Gesetzgebung so sein, wie sie will - bei der Umsetzung wird es immer hapern.
Und der Punkt, der mich stört, ist: Alle tun so, als sei das ganz normal und es sei doch jeder selbst Schuld, der sich ins Bein schießt und sich Kinder ans selbige bindet. Ist das wirklich so? Und ist das wirklich ein unabänderliches Gesetz?
Hier durchaus mal ein paar Gegenbeispiele:
http://diepresse.com/home/ausland/auss ... ht-gemacht
http://www.spiegel.de/karriere/karriere ... 984-2.html
https://mama-arbeitet.de/berufstatigkei ... cher-sicht
http://www.spiegel.de/karriere/berufsta ... 73314.html
http://derstandard.at/2000020233813/Is ... gluecklich
Sind die Eltern in diesen Ländern auch - "Entitled" - "Überanspruchsvoll", oder gar besonder "Unverschämt, weil es dort offenbar gar kein Problem ist, "den Kuchen zu essen und zu behalten"?
Weiß ich ich nicht. Ich finde, nicht, und ich finde es erst einmal nicht überanspruchsvoll, so etwas auch für hier erstrebenswert zu finden.
Das muss natürlich nicht jeder genauso sehen.
Im Übrigen haben alle diejenigen Recht, die geschrieben haben, dass die Gesetzgebung natürlich
alle Arten von Eltern betrifft.
Das ist korrekt. Es scheint mir aber in der Praxis so zu sein, dass - aus welchen Gründen auch immer, "Gender" im Sinne von angenommenen Geschlechterrollen eindeutig mit eingeschlossen - hier in erster Linie die Frauen diese gesetzlichen Unzulänglichkeiten ausbügeln (s.o.). Das finde ich durchaus änderungswürdig, und da sehe ich auch Änderungsbedarf. Es kann keine Lösung sein, das Kind den größten Teil seiner Wachzeit fremdbetreuen zu lassen, damit beide Eltern so tun könnten, als hätten sie keine Kinder. Es wäre vielmehr erstrebenswert, wenn beide Eltern die Möglichkeit hätten, Eltern zu sein.
Und dass Frauen von dieser Unterstützung mehr profitieren würden, ist keine "unfaire Bevorzugung" - es ist einfach ein Ausdruck eines jetzt gerade bereits bestehenden Ungleichgewichts. Das aber hierzulande so tief verankert ist, dass die Mehrheit der Leute es gar nicht als solches erkennt oder eben für so eine Art Naturgesetz hält. (Zumindest so lange sie selbst nicht betroffen sind.)
Übrigens las ich heute in der Tageszeitung einen Kommentar (von einem Mann), der hier sehr gut hineinpasst.
Er schrieb, sinngemäß: Immer mehr Männer reduzieren ihre Arbeitszeit, um Zeit mit ihren Familien zu verbringen.[Anmerkung: die Quote stieg von irgendwas um 2 % 2001 auf rund 10% Prozent 2017]. Deswegen ist es dringend nötig, flexibler zu werden und mehr Möglichkeiten für TZ zu schaffen, damit das einfacher machbar wird.
Und ich dachte:
Deswegen? - Also, wegen der
Männer? - Erst
jetzt?
wzzw
... und auf ihrem Grabstein wird stehen: "Ich hab's dir ja gesagt!"