Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

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hexe
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von hexe »

Gorbalad hat geschrieben:Homosexuellenehe z.B.?
Ja, das wäre schön. Oder vor oder nach dem 'Kulturellen Treffen' hier eine Rede halten über die Werte der Demokratie, der Religions-, Presse- und Meinungsfreiheit, der Menschenrechte im Allgemeinen, den Gefahren von Faschismus, den Vorzügen der EU und warum es für alle sinnvoll ist dort beizutreten, etc, pp.
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Gubblinus
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von Gubblinus »

BenjaminK hat geschrieben:Meinungsäußerungsrecht ist kein Bürgerrecht, sondern Menschenrecht.
Die freie Meinungsäußerung ist in unseren Verfassungen, und ist immer insoferne einzuschränken, sobald eine freie Meinungsäußerung ein Aufruf zu Straftat, oder Aufruf zur Verfassungsfeindlichkeit ist. Und die freie Meinungsäußerung ist explizit geschaffen für den Bürger, gegen den Staat.
Das gilt für Erdogan, genauso wie für jeden anderen (in meinen Augen ist das Programm Erdogans klar verfassungsfeindlich, übrigens auch feindlich gegenüber freier Meinungsäußerung). Darüber hinaus ist der Zweck der freien Meinungsäußerung (und des Versammlungsrechtes) ein von Bürgern gegen den Staat gerichtetes Recht! Nicht ein vom Staat gegen einen anderen Staat oder Bürger gerichtetes Recht.
Hier geht es nicht um einen Bürger oder eine Privatperson, die vom Staat zensiert werden würde, sondern ein Funktionär eines anderen Staates will bei uns verfassungsfeindliche Propaganda verbreiten.

Und genauso wie ein Staatsfunktionär anderer Staaten (ohne Visafreiheit) ohne Visa kein Grundrecht darauf hat einzureisen (was Bürger hätten), hat er auch kein Recht sich aussuchen zu dürfen wo er Versammlungen organisieren will, oder zu welchem Zweck. Selbst die Demonstrationsfreiheit (also eigentlich Versammlungsfreiheit) steht in Österreich und Deutschland ausschließlich Staatsbürgern zu. (Heißt, Organisator jeder Demo muss ein Staatsbürger sein)

Ich sehe darin ehrlich gesagt keine Verletzung der allgemeinen Meinungs- und Versammlungsfreiheit, weil die Rechte der Bürger gegen den Staat (und das ist ja der Sinn dieser Freiheiten) unberührt sind.
Was die verbotenen Parteien und die Gleichsetzung angeht: Na entweder ist die Regierung unmöglich, eine Diktatur und nicht als demokratische Staatsvertretung anerkannt, dann macht man keine Diplomatie und Verträge, sondern Embargos, Aufforderungen oder Druck zu Verhaltensänderung.
Muss man nicht zwingend sofort machen, Diplomatie ist ja ein Kontinuum zwischen weiß und schwarz, aber deiner vorigen Begründung folgend spricht zB nichts dagegen dass Assad zu uns kommen würde, politische Immunität genießt, und Wahlkampf für die Ausrottung von allem was nicht Alawit ist zu machen. (ist ja freie Meinungsäußerung ...)
Die Opposition ist halt nicht stark, aber verfolgt ist sie nicht.
Ist dieser Satz jetzt wirklich ernst gemeint? Oder definiere "verfolgt". Reicht einsperren ohne Anklage aufgrund einer persönlichen Liste von Erdogan nicht mehr aus um verfolgt zu sein?

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BenjaminK
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von BenjaminK »

Menschenrecht ist nicht Bürgerrecht. Aber wir verlieren uns in Klein-Klein und sind uns im Grunde einig, dass die türkische Regierung hier keine Hetzerei betreiben soll, die unseren Grundwerten zu wider läuft. Und damit wir uns "im diplomatischen Kontinuum" nicht unmöglich machen, darf das die Opposition genau so wenig :)
Die Opposition ist halt nicht stark, aber verfolgt ist sie nicht.
Ist dieser Satz jetzt wirklich ernst gemeint? Oder definiere "verfolgt". Reicht einsperren ohne Anklage aufgrund einer persönlichen Liste von Erdogan nicht mehr aus um verfolgt zu sein?
Der Satz ist völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Ich beschrieb zwei mögliche Haltungen. Es passt einfach nicht zusammen, wenn ich die Opposition als politisch verfolgt ansehe und gleichzeitig die Regierung als demokratisch-legitime Volksvertreter.
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Gubblinus
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von Gubblinus »

Im ersten Punkt sind wir uns einig. Ob wir wirklich dazu gezwungen sind es der Opposition ebenfalls zu verbieten, sind wir uns nicht einig (wobei das mehr eine theoretische Frage ist, weil im Moment schauts nicht so aus als hätte die Opposition überhaupt vor Wahlkampfveranstaltungen in De/Aut zu machen).

Ich finde nicht dass das nicht zusammenpasst. Eine demokratisch gewählte Regierung kann sehr wohl die Opposition verfolgen. Ein solches System ist ohne Probleme denkbar, und hier auch beobachtbar (die nächste Wahl entspricht dann halt nicht mehr unseren demokratischen Grundprinzipien).
Aber jede Regierung die von demokratisch zu undemokratisch geht ist in ihrer ersten Legislaturperiode wo die Wandlung stattfindet demokratisch legitimiert, und beschneidet mit dieser demokratischen Legitimation die Demokratie selbst (Ausnahme ist nur die Revolution). Das passiert dann üblicherweise über zusätzliche Machtfaktoren (üblicherweise von Körperschaften mit Waffenbesitz, bei Hitler wars der "Saalschutz", bei Erdogan die schon vorher erfolgte Säuberung der Polizei und Justiz).

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BenjaminK
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von BenjaminK »

Ne, das passt nicht...:/ Ich kann doch nicht einen auf Best-Buddy machen und gleichzeitig der Opposition Asyl gewähren weil sie um ihr Leben fürchten muss, wenn sie nicht linientreu wird. Also doch, geht schon, ist aber inkonsistent oder das Mitgefühl und die Empörung für die Opposition ist geheuchelt oder aber der Best-Buddy ist geheuchelt.
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Andwari
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von Andwari »

Gegenüber dem vllt. hier lebenden Oppositions-Wahlkämpfer (aber auch inländischen Erdogan-Anhängern) würden sämtliche Regelungen zum Schutz unserer Ordnung ja greifen - wenn die bei ihren Veranstaltungen zu sehr hetzen, kriegen sie ein paar Monate später einen Anhörungsbogen zu ihrem Strafverfahren.
<=> Gegenüber ausländischen Regierungsmitgliedern funktioniert das nicht, weil ein Vorgehen gegen diese immer auch eine zwischenstaatliche Dimension hätte. Man inhaftiert schlicht keine ausländischen Regierungsmitglieder ohne dass es diplomatisch massiv scheppert. Äußerungen von in Deutschland wohnenden AKP-Mitgliedern sind hier ja gar nicht das Thema.

@Doppelte Staatsangehörigkeit - Gubblinus
Österreich ist da deutlich stringenter als Deutschland. In Deutschland gab es nach viel Hickhack zu dem Thema Stand 2011, Zensus 1,5 Millionen Türken ohne deutschen Pass, 800000 türkischstämmige Deutsche = ohne türkischen Pass und eben 530000 mit zwei Pässen. Die Regelungen zum Doppelpass wurden seitdem so modifiziert, dass die bis 2014 bestehende Optionspflicht oft entfällt, d.h. die Zahl der Doppelpass-Inhaber vmtl. eher gestiegen ist.
=> Der Fall Deniz Yücel ist das erste Mal, dass ich von einem Nachteil eines bestehenden Doppelstaatler-Status höre (interessante Ausführungen unseres Justizministers) - sonst klang es oft so, als hoffe man durch das Zuckerl "deutscher Pass" etwas Akzeptanz bei den Deutschtürken zu kriegen, während man von ihnen eben nicht fordert, auf irgend ein Stück "türkisch-sein" zu verzichten.

Entsprechend wurde das auch stets eher vom "linken" politischen Lager befördert - mMn mit arger Gutmenschen-Attitüde und dem generellen Duktus, dass man so was Rückständiges wie Staatsangehörigkeit ja eigentlich gar nicht mehr braucht und es deshalb nur ein Gewinn sei, wenn sich irgendwer gleichzeitig beiden Staaten zugehörig fühlt und keine Probleme entstehen.

Die Türkei ist dabei als Nicht-EU-Staat außerhalb des Schengenraums noch mal ein besonderes Beispiel, das nur aus einer sowieso grenzenlosen Reisefreiheit-Idee heraus erklärbar ist.

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Salix Lowanger
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von Salix Lowanger »

Andwari hat geschrieben:Gegenüber dem vllt. hier lebenden Oppositions-Wahlkämpfer (aber auch inländischen Erdogan-Anhängern) würden sämtliche Regelungen zum Schutz unserer Ordnung ja greifen - wenn die bei ihren Veranstaltungen zu sehr hetzen, kriegen sie ein paar Monate später einen Anhörungsbogen zu ihrem Strafverfahren.
<=> Gegenüber ausländischen Regierungsmitgliedern funktioniert das nicht, weil ein Vorgehen gegen diese immer auch eine zwischenstaatliche Dimension hätte. Man inhaftiert schlicht keine ausländischen Regierungsmitglieder ohne dass es diplomatisch massiv scheppert.
Abgesehen davon, dass die hier diplomatische Immunität genießen dürften, es für eine Verhaftung also auch keine Rechtsgrundlage gäbe.
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Gubblinus
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von Gubblinus »

@Benjamin: Mit "das passt schon" meinte ich dass eine demokratisch legitimierte Regierung durchaus undemokratisch sein kann und die Opposition verfolgen kann.
Mir wäre übrigens noch nicht aufgefallen dass die EU, Deutschland oder Österreich (mit der Ausnahme von ein paar abstrusen Wortmeldungen) "best buddy" mit der Türkei wären. Jedes Land hat noch die Vorgänge in der Türkei verurteilt. (und das meine ich mit Grauzone, es gibt nicht nur "best buddy" oder "Abbruch der Beziehungen", da gibts eine ganze Bandbreite dazwischen.

@Andwari: Interessant dass da die Bestimmungen in Ö und D doch sehr weit auseinander sind. Das heißt es gibt in D keinerlei Verpflichtung eine alte Staatsbürgerschaft abzulegen sobald man die deutsche annimmt?
Weiß jemand wie die Position der Linken (also der Partei "die Linke") in D zum Thema Doppelstaatsbürgerschaft ist?

Ausländische Funktionäre genießen diplomatische Immunität, deswegen sperrt man sie nicht ein. Und genau das zeigt nämlich auch deutlich dass es sich dabei nicht um eine Privatperson handelt, die Anrecht auf Versammlungsfreiheit hätte.

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Gorbalad
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von Gorbalad »

Man kann aber auch Diplomaten rausschmeißen...
"Eigentlich wäre <X> sehr <Y>, nur man hat daraus nichts gemacht" ist glaube ich die Quintessenz von DSA.

Andwari
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von Andwari »

@Salix
"Diplomatische Immunität" ist immer eine Abwägungssache - weil es keine Instanz gibt, die diese ggf. automatisch durchsetzt, die Uno hatte das afaik noch nicht und auch da bräuchte man halt "nur" eine Vetomacht auf seiner Seite, die die entsprechende Resolution kippt.

Wenn man nicht gleich vier Jahrhunderte kulturelle Errungenschaft umwerfen will: Ausländische Regierungsmitglieder sind per se mal keine Diplomaten, aber ziemlich sicher von der deutschen Regierung eingeladen (seltener vom Parlament oder gar von einem Bundesland) - und damit entsprechend geschützt. Daraus ergibt sich auch die sinnvolle Maßnahme: Keine Regierungsmitglieder aus dem Land einladen, keine Visa für "Privatreisen" von Regierungsmitgliedern (die schon arg konstruiert wirken) - und wenn einer dabei ist, der auch einen EU-Pass hat, halt klar machen dass der ggf. genau so als "Deutscher in Deutschland" behandelt wird wie gerade Deniz Yücel als Türke in der Türkei angesehen wird.

@Gubblinus
Die fraglichen Personen erwerben ja üblicherweise keine weitere Staatsbürgerschaft sondern haben erst mal beide - weil geboren in Deutschland (=Deutscher) und Vater Türke (=Türke).

"Die Linke" hat sich in Deutschland wiederholt für doppelte Staatsbürgerschaft ausgesprochen - auch das letzte mir bekannte Statement (12/2016) geht gegen die von der CDU angeregte Wiedereinführung der Optionspflicht.

Eulenspiegel
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von Eulenspiegel »

Meinungsfreiheit allgemein:
Leute, bittet unterscheidet "Recht auf Versammlungsfreiheit" und "Ideal der Versammlungsfreiheit".

Es geht nicht darum, ob Erdoğan ein Recht darauf hat. Es geht darum, ob es dem Ideal der Versammlungsfreiheit und dem Ideal der Demokratie entspricht, jemanden diese zu verwehren.

Bei dem Ideal der Meinungsfreiheit geht es darum, dass beide Meinungen geäußert werden. Der Zuhörer erfährt die Gründe für beide Meinungen und kann daran dann entscheiden, welches die bessere Meinung ist.

Meinung verbieten ist nur notwendig, wenn man die schlechtere Meinung vertritt. Dann muss man die bessere Meinung verbieten, damit der Zuhörer nicht die Vorteile davon erfährt.

Wenn man die bessere Meinung vertritt, kann man die schlechtere Meinung jedoch zulassen. Denn wenn für beide Meinungen argumentiert wird, erfährt der Zuhörer, warum die eine Meinung besser ist.

Das ist das "Ideal der Meinungsfreiheit". Es hat nichts mit dem "Recht auf Meinungsfreiheit" zu tun.

Meinungsfreiheit im Besonderen. Warum Erdoğan seine Rede halten sollte:
Alles war Erdoğan in der Rede sagen würde, ist bereits über das Internet frei zugänglich. Das heißt, die Leute, die sich durch diese Argumente überzeugen lassen, sind bereits übers Internet überzeugt.
Es wird wohl keinen geben, der sagt: "Ich habe mir Erdoğans Videos angeschaut und bin gegen die Verfassungsänderung. Aber jetzt, wo ich Erdoğan life gehört habe, bin ich plötzlich dafür."
Das heißt, es würde eine Veranstaltung geben, wo ihm diejenigen, die sowieso pro Verfassungsänderung stimmen, ihm zujubeln werden. Aber am Wahlverhalten würde sich nichts ändern.

Wenn man die Rede verbietet, hat dies jedoch einen großen Einfluss auf die Unentschlossenen. Viele hierlebenden Türken fühlen sich tatsächlich beiden Nationen verbunden. Sie sind in ihren Herzen sowohl Deutsche als auch Türken und denken sich: Deutschland ist als Demokratie mächtig geworden. Das kann die Türkei auch. Die Türkei hat in den letzten Jahren einen rapiden Aufschwung erlebt. Eine Stärkung des Präsidialsystems ist also nicht notwendig.

Durch das Verbot der Reden für die Verfassungsänderung, entsteht jedoch folgende Meinung: Deutschland will nicht, dass die Türkei mächtig wird. Deutschland will die Türkei klein halten. Deutschland ist undemokratisch, weil sie die Reden verbietet.

Dabei ist es vollkommen unerheblich, ob diese Überlegungen stimmen oder nicht. Sie kommen auf.
Diese Überlegungen führen letztendlich zu zwei Sachen:
1. Türken, die bisher unentschlossen waren, entschließen sich, jetzt für die Verfassungsänderung zu stimmen. Schließlich will Deutschland die Türkei klein halten Also scheint die Verfassungsänderung dafür zu sorgen, dass die Türkei stärker wird.
2. Türken, die bisher Deutschland wohlwollend betrachtet haben, fangen nun an, die deutsche Regierung als Feind zu sehen. Ressentiments werden geschürt.

Zwei negative Entwicklungen, die sich leicht verhindern ließen, indem man die Wahlveranstaltungen erlauben würde.

Doppelte Staatsbürgerschaft:
Ja, viele Deutsch-Türken, die hier in Deutschland leben, wollen einen starkes Präsidialsystem.
Das heißt aber nicht, dass sie gegen Deutschland als ganzes sind.

Allgemein ist das ganze auch kein türkisches Problem. Wir hier in Deutschland haben ebenfalls die AfD, die der AKP doch stark ähnelt.
Die AfD-Wähler wollen keine starke Merkel, aber dafür am liebsten eine starke Petry an die Macht.

Ob man für ein starkes Präsidialsystem ist oder nicht, hat nicht unbedingt etwas mit der Kultur und schon gar nicht mit der Staatsbürgerschaft zu tun.

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sagista
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von sagista »

Eulenspiegel hat geschrieben:Dabei ist es vollkommen unerheblich, ob diese Überlegungen stimmen oder nicht. Sie kommen auf.
Fake News halt.
Es wird immer wieder so getan, als seien Fake News eine Erfindung Trumps oder der AfD. Dem ist natürlich nicht so.
Eulenspiegel hat geschrieben:Diese Überlegungen führen letztendlich zu zwei Sachen:
1. Türken, die bisher unentschlossen waren, entschließen sich, jetzt für die Verfassungsänderung zu stimmen. Schließlich will Deutschland die Türkei klein halten Also scheint die Verfassungsänderung dafür zu sorgen, dass die Türkei stärker wird.
2. Türken, die bisher Deutschland wohlwollend betrachtet haben, fangen nun an, die deutsche Regierung als Feind zu sehen. Ressentiments werden geschürt.

Zwei negative Entwicklungen, die sich leicht verhindern ließen, indem man die Wahlveranstaltungen erlauben würde.
Ich weiß nicht, ob zu diesen Veranstaltungen eine nennenswerte Anzahl an Leuten geht, die noch unentschieden sind. Ich glaube eher, dass da die Leute hingehen, die eh Erdogan- und AKP-Anhänger sind und bei diesen Veranstaltungen ihre nationalistischen Bedürfnisse befriedigen.

Kritisch denkende Türken werden sich auch von den Pöbeleien, Anmaßungen und Unverschämtheiten der türkischen Regierungsvertreter nicht beeindrucken lassen.

Aber dennoch, ich denke auch, dass man die Leute auftreten lassen sollte. Es ist sehr erkenntnisreich.
Eulenspiegel hat geschrieben:Doppelte Staatsbürgerschaft:
Ja, viele Deutsch-Türken, die hier in Deutschland leben, wollen einen starkes Präsidialsystem.
Ich finde es absurd, auch weiterhin in der Demokratie zu leben, aber für die anscheinend ja gefühlte Heimat eine Diktatur zu wünschen. Aber wer weiß, vielleicht gehen die Diktatur-Anhänger dann ja in die Türkei.

Die Idee hinter der doppelten Staatsbürgerschaft als solche habe ich indes nie wirklich verstanden, d. h., verstanden schon, aber ich finde sie unsinnig. Letztendlich ist es doch etwas für Leute, die sich schlicht nicht entscheiden können. Die von Linken und Grünen vorgetragene Begründung, eine Optionspflicht würde die Integration behindern, fand ich nie wirklich stichhaltig.

Aber gut, eine Mehrheit für eine Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft gibt es derzeit nicht, allerdings sieht man durch diese aktuelle Diskussion, dass die Segnungen, die die doppelte Staatsbürgerschaft mit sich bringen, deutlich überschätzt und die aus hier resultierenden Schwierigkeiten unterschätzt wurden. Ich denke, man sollte das Szenario eines längerfristigen Konfliktes mit der Türkei nicht ausschließen. Die Frage ist, wem dann die Loyalität der Doppelstaatler gilt.

Thargunitoth
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von Thargunitoth »

Die Situation momentan zeigt eigentlich doch ganz gut, dass die doppelte Staatsbürgerschaft ein Fehler ist.

Wenn man sie abschafft, müssen sich die Deutschtürken entscheiden ob sie wirklich Deutsche oder Türken sein wollen. Das würde vielleicht sogar die Integration verbessern, weil sie dann entweder Türken wären, was bedeutet, dass sie auch abgeschoben werden könnten, wenn sie Probleme machen oder dass sie sich als Deutsche besser integrieren müssten.

Mit der doppelten Staatsbürgerschaft versacken sie irgendwo dazwischen.

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Salix Lowanger
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von Salix Lowanger »

Ich wage die Behauptung, dass die meisten der roten Fahnenschwenker hierzulande keine doppelte Staatsbürgerschaft haben sondern ihnen die deutsche verwehrt geblieben ist. Wären die alle eingebürgert, würde sich Erdogan für diese Menschen einen Dreck interessieren.

Ansonsten:
Andwari hat geschrieben:@Salix
"Diplomatische Immunität" ist immer eine Abwägungssache - weil es keine Instanz gibt, die diese ggf. automatisch durchsetzt, die Uno hatte das afaik noch nicht und auch da bräuchte man halt "nur" eine Vetomacht auf seiner Seite, die die entsprechende Resolution kippt.
Das ist so nicht richtig:
Wikipedia hat geschrieben:Der Diplomatenstatus ist kein Rechtsbegriff und wird in den nationalen und internationalen Rechtsvorschriften im Allgemeinen nicht verwendet. Die Vorrechte und Befreiungen, häufig auch als diplomatische Vorrechte oder diplomatische Immunität bezeichnet, beruhen auf jahrhundertelang unter den Staaten praktiziertem Völkergewohnheitsrecht. Lediglich bei internationalen Organisationen konnte sich ein Völkergewohnheitsrecht noch nicht herausbilden, da diese vermehrt erst nach dem Ersten Weltkrieg (z. B. der im Jahre 1919 gegründete Völkerbund) entstanden sind. Für internationale Organisationen werden diplomatische Vorrechte und Befreiungen erst durch die entsprechenden Vereinbarungen (Übereinkommen, Konventionen) in konstitutiver Weise begründet.

Die völkergewohnheitsrechtlichen Gepflogenheiten wurden auf der Grundlage eines Entwurfs der Völkerrechtskommission (ILC) aus den Jahren 1954–1958 und einer Resolution der XIV. Vollversammlung der Vereinten Nationen auf der Konferenz in Wien vom 2. März bis 18. April 1961 im Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen (WÜD) vom 18. April 1961 (BGBl. 1964 II S. 957)[1] zusammengestellt. Ebenso wurde hinsichtlich der Rechte der Konsularbeamten verfahren: Ihr Status ergibt sich heute aus dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen (WÜK) vom 24. April 1963 (BGBl. 1969 II S. 1585).[2]

Beide Übereinkommen sind von nahezu allen Staaten der Erde ratifiziert worden. Gegenüber nicht beigetretenen Staaten werden die Übereinkommen zum Beispiel in Deutschland kraft nationalen Rechts (§ 18 Satz 2 und § 19 Abs. 1 Satz 2 GVG) entsprechend angewendet.
(Hervorhebung von mir)
Quelle

Allerdings gilt dabei auch:
Unter der Bezeichnung Diplomatenstatus werden im allgemeinen Sprachgebrauch bestimmte Vorrechte und Befreiungen verstanden, die Mitglieder diplomatischer Missionen und konsularischer Vertretungen sowie Bedienstete internationaler Organisationen bei ihrem Aufenthalt im Gastland genießen.
Ob das also für ein mehr oder minder x-beliebiges Regierungsmitglied gilt, was angeblich Urlaub im Ausland macht, ist wieder eine andere Frage.
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von Andwari »

@Salix
Lies das Abkommen, das behandelt keine irgendwie durch die Gegend reisenden Minister, sondern ziemlich klar definierte Diplomaten. Man kann eingeladene Regierungsvertreter bei einem offiziellen Besuch entsprechend betrachten - aber ganz sicher keine 'Urlauber' oder Typen, die schon vor einer Reise ankündigen, sich nicht ans vorher abgestimmte Programm halten zu wollen.

Das Ganze beruht eben auf gegenseitiger Verständigung und nicht darauf, was eine Partei gerade will.

Die Türkei hat letztes Jahr Besuche deutscher Parlamentarier unterbunden, die nix anderes wollten als deutsche Soldaten auf dem Nato-Stützpunkt Incirlik besuchen, welche dort eine von der Türkei gewünschte Nato-Mission unterstützen.
= Mag zwar undiplomatisch erscheinen, ist aber Entscheidung der Türkei, da eben kein gemeinsam abgestimmtes Besuchsprogramm hinzubekommen. Dabei war da der Anlass halt noch stärker - weil es sicher in den Nato-Statuten einen Passus gibt, dass man sich bei gegenseitiger Hilfe nicht extra nervig verhält.

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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von Salix Lowanger »

Andwari hat geschrieben:Die Türkei hat letztes Jahr Besuche deutscher Parlamentarier unterbunden, die nix anderes wollten als deutsche Soldaten auf dem Nato-Stützpunkt Incirlik besuchen, welche dort eine von der Türkei gewünschte Nato-Mission unterstützen.
= Mag zwar undiplomatisch erscheinen, ist aber Entscheidung der Türkei, da eben kein gemeinsam abgestimmtes Besuchsprogramm hinzubekommen. Dabei war da der Anlass halt noch stärker - weil es sicher in den Nato-Statuten einen Passus gibt, dass man sich bei gegenseitiger Hilfe nicht extra nervig verhält.
Das ist ein guter Punkt! Hätte man vielleicht Erdogan mal in einer offiziellen Stellungnahme unter die Nase reiben sollen.
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von Andwari »

@Salix
Das jetzt zu bringen ist ein eher schwaches Signal - deutlich besser wäre mMn gewesen, die Soldaten zu einer Nato-Mission zu verlegen, wo der Einsatz auch vom Land wertgeschätzt wird, in dem er stattfindet. Da hätte man auch gleich die zig Millionen verbauen können, die von deutscher Seite für den Stützpunkt Incirlik vorgesehen sind.

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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von Salix Lowanger »

Na, jetzt sowieso nicht mehr! Ich meinte nur auf Erdogans Nazi-Vergleich mit dem obigen Vergleich zu kontern. Das hätte sich diplomatisch wahrscheinlich gut nutzen lassen. (Ich wüsste allerdings nicht, wie man sowas am besten diplomatisch verpackt und Erdogan gekonnt um die Ohren pfeffert.)
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Andwari
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von Andwari »

"um die Ohren pfeffern" und "diplomatisch" schließt sich meist aus - da geht es ja darum, nicht unnötig zu eskalieren.

Nazivergleiche kann man meist nicht mehr mit Sachthemen kontern, .

Eulenspiegel
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von Eulenspiegel »

sagista hat geschrieben:Ich weiß nicht, ob zu diesen Veranstaltungen eine nennenswerte Anzahl an Leuten geht, die noch unentschieden sind.
Richtig, diese Leute gehen nicht zu der Veranstaltung. Deswegen schadet diese Veranstaltung auch nicht.

Aber diese Leute lesen türkische Nachrichten. Und wenn in diesen steht, dass die Veranstaltung aus Gründen x abgesagt wurde, dann kann dies durchaus schaden.
Ich finde es absurd, auch weiterhin in der Demokratie zu leben, aber für die anscheinend ja gefühlte Heimat eine Diktatur zu wünschen.
Man muss zwischen Volk und Staatssystem unterscheiden.

Es gibt ja auch unzählige Leute, die in einer Diktatur leben und für die Demokratie kämpfen. Wieso sollte es umgekehrt nicht auch möglich sein?

Man kann den Staat an sich lieben und gleichzeitig das Regierungssystem hassen. Und eben, weil man den Staat/das Volk liebt, wandert man nicht aus, sondern versucht, den Staat an die eigenen Vorstellungen anzupassen.

In den meisten Fällen ist dies: Person lebt in diktatorischen Staat und anstatt in eine Demokratie auszuwandern, versucht die Person, den eigenen Staat zu demokratisieren.
Aber prinzipiell geht es auch andersrum.

Hinzu kommt:
Durch die Verfassungsänderung wird Erdoğan mit mehr Macht ausgestattet. Aber er wird dadurch nicht zum Diktator. Er muss sich trotzdem regelmäßig einer Wahl stellen. Das heißt, selbst wenn Leute für die Verfassungsänderung sind, heißt das noch lange nicht, dass sie für eine Diktatur sind.
Ich denke, man sollte das Szenario eines längerfristigen Konfliktes mit der Türkei nicht ausschließen. Die Frage ist, wem dann die Loyalität der Doppelstaatler gilt.
Die Frage ist: Würde sich deren Loyalität ändern, wenn man sie zwingen würde, sich für eine Staatszugehörigkeit zu entscheiden?
Wobei die Wahl der Staatszugehörigkeit nicht unbedingt etwas mit der eigenen Loyalität zu tun haben muss: Ich kann mich auch für Staatzugehörigkeit x entscheiden und gleichzeitig Staat y loyal sein.

@Thargunitoth
Wieso müsste sich ein Deutsch-Türke, der die türkische Staatszugehörigkeit aufgibt, mehr integrieren als bisher?
Wenn sich jemand mit doppelter Staatszugehörigkeit nicht integriert, dann wird er es mit einer Staatszugehörigkeit auch nicht tun.

Aber selbst, wenn sich sich mehr integrieren würden: Dann würden sie anstatt AKP in Zukunft halt AfD und CSU wählen. Dadurch wäre auch niemanden geholfen.
Salix Lowanger hat geschrieben:Ich wage die Behauptung, dass die meisten der roten Fahnenschwenker hierzulande keine doppelte Staatsbürgerschaft haben sondern ihnen die deutsche verwehrt geblieben ist. Wären die alle eingebürgert, würde sich Erdogan für diese Menschen einen Dreck interessieren.
Nein, wer doppelte Staatsbürgerschaft hat, kann in Deutschland und der Türkei wählen. Ob die Person in Deutschland wählen kann, ist Erdoğan relativ egal. Aber dass die Person in der Türkei wählen kann, ist Erdoğan sehr wichtig: Denn innerhalb der Türkei ist die Verfassungsänderung sehr umstritten. Daher versucht er Wähler im Ausland für seine Verfassungsänderung zu überzeugen.

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AngeliAter
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von AngeliAter »

Andwari hat geschrieben:Nazivergleiche kann man meist nicht mehr mit Sachthemen kontern, .
Ach doch, man könnte ja ganz unschuldig anfragen ob die urdemokratische Türkei inzwischen alle Reporter wieder frei gelassen hat.
Das Stockholm-Syndrom ist eine anerkannte Methode um neue Freundschaften zu schließen.

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Gorbalad
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

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AngeliAter hat geschrieben:Ach doch, man könnte ja ganz unschuldig anfragen ob die urdemokratische Türkei inzwischen alle Reporter wieder frei gelassen hat.
In der Türkei werden doch keine Reporter gefangen gehalten. Terroristen, Putschisten - ja natürlich, aber doch keine Reporter...

:rolleyes: :devil:
"Eigentlich wäre <X> sehr <Y>, nur man hat daraus nichts gemacht" ist glaube ich die Quintessenz von DSA.

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AngeliAter
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von AngeliAter »

Ach ja, sorry, ich vergass.. da war doch so ein doofer Übersetzungsfehler.
Das Stockholm-Syndrom ist eine anerkannte Methode um neue Freundschaften zu schließen.

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sagista
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von sagista »

Salix Lowanger hat geschrieben:Ich wage die Behauptung, dass die meisten der roten Fahnenschwenker hierzulande keine doppelte Staatsbürgerschaft haben sondern ihnen die deutsche verwehrt geblieben ist. Wären die alle eingebürgert, würde sich Erdogan für diese Menschen einen Dreck interessieren.
Als Doppelstaatler sind sie für Herrn Erdogan sehr wohl interessant. Und deine Behauptung halte ich für, sagen wir mal, kühn. Ich würde nicht ausschließen, dass es einige / etliche / viele gibt, die zwar die deutsche Staatsbürgerschaft haben, sich aber sehr wohl in erster Linie als Türken identifizieren.
Eulenspiegel hat geschrieben:Aber diese Leute lesen türkische Nachrichten. Und wenn in diesen steht, dass die Veranstaltung aus Gründen x abgesagt wurde, dann kann dies durchaus schaden.
Redest du jetzt von seriösen Nachrichten oder von türkischen Propaganda-Nachrichten? Nur weil etwas in den Propaganda-Blättchen eben falsch dargestellt wird, bedeutet das ja nicht, dass die Absagen falsch waren. Oder, anders formuliert, nur weil die Gefahr besteht, dass richtige Entscheidungen propagandistisch ausgeschlachtet werden, heißt das nicht, das die richtigen Entscheidungen unterlassen werden. Ich denke da insbesondere an die Veranstaltungen, bei denen als Anlass etwas völlig anderes angegeben worden ist.
Eulenspiegel hat geschrieben:Es gibt ja auch unzählige Leute, die in einer Diktatur leben und für die Demokratie kämpfen. Wieso sollte es umgekehrt nicht auch möglich sein?
Aber die hier lebenden Erdogan-Anhänger haben doch gar kein Interesse daran, in die Türkei umzusiedeln. Das ist das, was ich nicht nachvollziehen kann. Ob man nun in dem Land, in dem man lebt, dafür eintreten sollte, dass aus der Demokratie eine Diktatur wird, möchte ich mit dem Verweis auf das Grundgesetz mal in Frage stellen, könnte es aber zumindest theoretisch noch nachvollziehen. Aber für eine Diktatur in einem Land einzutreten, in dem man selbst garnicht lebt, finde ich abwegig.
Eulenspiegel hat geschrieben:Durch die Verfassungsänderung wird Erdoğan mit mehr Macht ausgestattet. Aber er wird dadurch nicht zum Diktator. Er muss sich trotzdem regelmäßig einer Wahl stellen. Das heißt, selbst wenn Leute für die Verfassungsänderung sind, heißt das noch lange nicht, dass sie für eine Diktatur sind.
Lass es mich so formulieren, es wird der Weg zu einer Diktatur bereitet. Dass Erdogan kein Demokrat ist, könnte man schon lange wissen, wenn man ernst nehmen würde, was die Leute im Laufe ihres Leben von sich geben. Ich glaube, fast jeder kennt das Zitat von Erdogan, die Demokratie sei nur der Zug, auf den man aufspringe usw.

Im Grunde ist es das selbe wie damals mit Hitler. Hätte man von Anfang an ernst genommen, was der geschrieben und gesagt hat, hätte wissen können, was er vorhat. Das Ergebnis ist bekannt. Bei Erdogan macht man den gleichen Fehler erneut, wahrscheinlich weil man es nicht wahrhaben will. Ich bin allerdings der Meinung, dass wir aus der Geschichte lernen sollten. Der Auspruch "Wehret den Anfängen" ist genau dafür gemacht.

Dass sich Erdogan und seine Minister der Nazi-Vergleiche bedienen, ist in diesem Zusammenhang irgendwie ulkig, hat aber Methode.
Eulenspiegel hat geschrieben:Die Frage ist: Würde sich deren Loyalität ändern, wenn man sie zwingen würde, sich für eine Staatszugehörigkeit zu entscheiden?
Das würde ich tatsächlich erwarten, wenn man sich bewusst und aktiv für eine Staatsangehörigkeit entscheidet. Empfindet man keine rechte Loyalität für einen Staat, muss man die Staatsangehörigkeit ja nicht annehmen. Man hat ja die Wahl, in diesem Fall zwischen deutscher und türkischer Staatsangehörigkeit. Ich verstehe das Problem dabei schlicht nicht. Ich habe versucht, mich in die Lage hineinzuversetzen oder ein Szenario durchzuspielen, meine Eltern wären vor oder direkt nach meiner Geburt z. B. in die Türkei ausgewandert und ich müsste mich dann irgendwann entscheiden, will ich Deutscher oder Türke sein. Wahrscheinlich würde ich mich dafür entscheiden, Türke mit deutschem Migrationshintergrund zu sein. Ist ja auch nachvollziehbar, wenn ich mein ganzes Leben in der Türkei lebe und im Urlaub mal die Heimat meiner Eltern besuche.

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Salix Lowanger
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von Salix Lowanger »

sagista hat geschrieben:
Salix Lowanger hat geschrieben:Ich wage die Behauptung, dass die meisten der roten Fahnenschwenker hierzulande keine doppelte Staatsbürgerschaft haben sondern ihnen die deutsche verwehrt geblieben ist. Wären die alle eingebürgert, würde sich Erdogan für diese Menschen einen Dreck interessieren.
Als Doppelstaatler sind sie für Herrn Erdogan sehr wohl interessant. Und deine Behauptung halte ich für, sagen wir mal, kühn. Ich würde nicht ausschließen, dass es einige / etliche / viele gibt, die zwar die deutsche Staatsbürgerschaft haben, sich aber sehr wohl in erster Linie als Türken identifizieren.
Ich meinte das ein wenig anders: Ich halte den allergrößten Teil nicht für Doppelstattler sondern für türkische Staatsbürger, die dauerhaft in Deutschland leben. Wenn die alle so eingebürgert worden wären, dass sie ausschließlich eine deutsche Staatsbürgerschaft hätten, dann wären sie per se für Erdogan völlig uninteressant, da keine berechtigten Wähler im Sinne des anstehenden Referendums der Türkei.
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Andwari
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von Andwari »

@Salix
Die (nicht ganz aktuellen) Zahlenverhältnisse hatte ich oben genannt, alle drei Gruppen sind zahlenmäßig stark. Das wäre ein interessanter Untersuchungsgegenstand, ob und wie Erdogan da nur Teile anspricht - kann man sicher in 10 Jahren einen Soziologen drauf promovieren lassen.

Ich stelle mir da ein ziemliches Mischmasch in typischen mehrere Generationen umfassenden "Ex-Gastarbeiterfamilien" vor: Vom Opa, der natürlich Türke ist, seit 1964 in Deutschland und dem eine deutsch-Einbürgerung arg schwer gemacht wurde, die nächste Generation die evtl. durch damalige Gesetze veranlasst wurde, sich aus ursprünglich zwei Staatsangehörigkeiten zu entscheiden, die heute 18-26 jährigen, die diese Entscheidung nicht treffen müssen usw.

Ob Erdogans Wahlkampf bei Opa, dem eingefleischten Kemalisten verfängt? Er erzeugt auf jeden Fall in der ganzen Familie Diskussion und wenn nur irgendwer mit nur-deutschem Pass der Verwandtschaft in der Türkei von der 'türkenfeindlichen' Stimmung hier berichtet und die deshalb mit Ja stimmt, ist auch schon wieder gut. Erdogan kriegt daheim vmtl. überwiegend Stimmen von Leuten, die den unter seiner Regierung stattgefundene wirtschaftlichen Boom ihm zuschreiben und/oder Angst vor bösen Kurden, Gülenisten, Europäern, usw. haben. Die wahlberechtigten Türken in Deutschland haben vmtl. weniger Auswirkungen eines türkischen Wirtschaftswunders erlebt und sind auch nicht direkt an anderen Problemen dran = da braucht es etwas andere Ansätze.

Es geht um eine eigentlich innenpolitische türkische Abstimmung. Dass man die am einfachsten durch äußere Bedrohungslage begünstigt, musste Erdogan nicht selbst erdenken, das ist so was von klassisch.

GrisGris
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von GrisGris »

Ich betreibe mal Schwarzmalerei: Was hier betrieben wird ist in meinen Augen die Etablierung eines Feindbilds. Dass es keine international verbindliche Kategorisierung des Terroristen gibt, ist dabei mehr als hinderlich. Im Prinzip ist dabei das terminologische Argument Noam Chomskys tragend. Guerillakämpfer gibt es nicht mehr. Der Widerstand gegen den Staat, mittlerweile vielerorts gegen eine Regierung wird sogleich mit dem Label Terrorismus versehen. Dass nicht die Methodik, sondern die Ideologien entscheidend sein sollten, scheint sekundär. Für mich scheint das alles wie Vorbereitung auf einen Konflikt. Es scheint türkischen Ausweitungsplänen wenig förderlich gen Osten zu expandieren, auch wenn es die Historie nahelegen würde. Zu zersplittert ist dort das politische Umfeld. Sieht man ja in Syrien. Sobald es zu Konflikten kommt, gibt es eine ganze Reihe von militärisch-politischen Organisationen, die versuchen ihre Interessen durchzusetzen. Um im Osten an Zugkraft zu gewinnen, braucht es ein Feindbild, das Solidarität erzeugt. Wer sich gegen die Achse EU-USA stellt, gegen eine alte Weltordnung, auf deren Buckel eine systematische ungleiche Verteilung von Wohlstand auf dem Buckel der restlichen Welt organisiert wurde und wird, hat international enorm Rückenwind. Dass das nicht von der Bevölkerung ausgeht, sondern von Konzernen, zählt dabei wenig. Wer an der Rebellion teilnehmen will, kann es - als Konvertit. Seine letztendliche Positionierung darf er sich dann noch aussuchen. Es wirkt so, als würden einige Staaten nur darauf warten, dass es kracht. Dabei will niemand der erste im Fokus sein (außer vielleicht Nordkorea, das zumindest nicht den Eindruck erwecken will, es sei ihnen nicht gleich), denn die erste Front einer internationalen Auseinandersetzung wird nicht nur mit den größten Menschenverlusten und der größten Zerstörung rechnen müssen, sondern darf sich in dem wohl lange anhaltenden Konflikt mit der Idee anfreunden, dass ein Großteil der Truppen anfangs gebunden und ziemlich bald stark reduziert werden dürfte. Obgleich es mir stark missfällt, scheint nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch im präventorischen politischen Denken mehr und mehr der Falls-Gedanke über einen neuen Weltkrieg, einem Wenn-Gedanken weichen. Im Anbetracht dessen, dass Erdogan die wenn auch nur geringe Aussicht darauf hatte als Kriegsgefangener in ner Zelle zu sitzen, anstatt den Regierungsposten innezuhaben, trägt das nur für eine gesteigerte Paranoia bei und dem Bedürfnis die Opposition nicht nur mundtot zu machen, sondern auszulöschen. Das hat nicht nur mit Egoismus zu tun, sondern auch mit Sorge um seine Familie, der es im Falle eines Putsches wohl auch nicht sonderlich gut ergangen wäre, ebenso wie Freunden und Vertrauten.

Wenn Erdogan den Nazivergleich bemüht, geht es ihm nicht darum die politisch-historische Dimension des Naziregimes zu hinterfragen, deren diktatorischen und judenfeindlichen Züge er vermutlich sogar zu einem gewissen Teil bewundernswert findet, wie einige Muslime. Es geht ihm darum an die persönliche Wahrnehmung eines Muslimen bezüglich ungerechter Behandlung, die überheblichen weißen Christen und der vermeintlichen Ungleichbehandlung zu appellieren. Vor der Wahl Van der Bellens zum Bundespräsidenten bezeichnete er Österreich noch als rassistischsten Staat der Welt. Es ist müßig für uns sich darüber zu unterhalten, dass er sich damit eine Blöße gegeben hat. Das durchsichtige Gewand des Kaisers ist so viel wert, wie es ihm die Unterstützer zumessen. Also im Moment überraschend viel...

Eulenspiegel
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von Eulenspiegel »

Die Achse EU-USA ist seit Trump und dem Brexit doch recht angeschlagen.
Man könnte jetzt die Achse NATO bemühen. Aber zu der zählt die Türkei ja auch...

Ich denke, den EU-Staaten geht es tatsächlich darum, dass sie eine Entdemokratisierung in der Türkei verhindern wollen. - Dieses Anliegen an sich finde ich sogar positiv. Nur halte ich wenig davon, fehlende Meinungsfreiheit dadurch zu bekämpfen, dass man selber die Meinungsfreiheit einschränkt.

Zu Erdoğan: Ich denke, er ist zum einen religiös und zum anderen selbstverliebt. Hauptsächlich geht es ihm um innenpolitische Ziele: Er will die Türkei nach seinen Vorstellungen formen. Dass etwa 50% der Türken das nicht wollen, ist ihm egal (oder nichtmal bewusst).
Erdoğan sagt, dass er an enge Beziehungen zwischen EU und Türkei interessiert ist. Und das glaube ich ihm. Er weiß, das sowohl wirtschaftlich als auch militärische beide Gruppierungen davon profitieren, wenn sie eng zusammenarbeiten. Aber er ist auch der Meinung, dass man sich nicht gegenseitig in die Innenpolitik einmischen sollte: Die Türkei redet der EU nicht rein und die EU redet der Türkei nicht rein.

Außenpolitische Zusammenarbeit (Wirtschaft und Militär) aber innenpolitisch macht jeder sein eigenes Ding. - Das ist sehr wahrscheinlich das, was sich Erdoğan von einer Beziehung zwischen EU und Türkei wünscht.

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Gubblinus
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von Gubblinus »

Erdogan redet dafür aber schon sehr viel in der EU drein, dafür dass er wollen soll dass beide sich gegenseitig nicht drein reden ... Also da gibts nun wirklich genug Beispiele dafür dass er sehr wohl der EU versucht dreinzureden wo er nur kann, sich aber selbst jegliche Einmischung in Dinge die sogar nichtmal Inneres sind (zB Visafreiheit oder Pressefreiheit) verbietet.

Erdogan wünscht sich nach außen Populismus machen zu können (um für die eigenen Wähler stark dazustehen), und hofft darauf dass die EU viel zu sehr an guten Beziehungen interessiert ist und ihren Werten treu bleibt (eben zB versuchen wird die Entdemokratisierung zumindest zu bremsen) als dass die EU ihm den Stinkefinger zeigen würde.
Erdogan braucht die EU wirtschaftlich, das weiß er. Er tested nur halt grade wie ein pupertierendes Kind aus wo die Grenzen sind was er sich leisten kann.

Andwari
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Re: Wird sich am Verhältnis EU - Türkei etwas ändern?

Ungelesener Beitrag von Andwari »

@Gubblinus
Wenn man sämtliche türkische Diaspora als legitimes Thema Erdogans ansieht, mischt er sich nirgendwo in "fremde" Angelegenheiten.
Je nach gewähltem Blickpunkt finden sich immer entsprechende Gruppen - in der Türkei selbst leben sowieso nur "Türken" und andererseits gibt es ganz viele "Türken", die noch die Segnungen der Türkei erleben wollen - ob das jetzt syrische Turkmenen, Aserbaidschaner oder Uiguren sind. Wenn man sich außerdem noch als islamische Autorität sieht, muss man auch gegenüber den Arabern, Ägypern (Muslimbruderschaft) usw. seine Position vertreten dürfen.

Genau das führt zum Austesten der Schmerzgrenze beim Gegenüber - nicht unbedingt aus Böswilligkeit, sondern weil die eigenen Ansprüche noch weiter gehen. Die ganzen plakativen Bezeichnungen als "Kalif vom Bosporus" oder großtürkischer Phantasien sind ja nur teilweise Blödsinn.

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