Kapitel 5 – H'Rangas Kinder
Wie immer findet Ihr beim Phileassonprojekt meinen
Spielbericht mit ausführlichen Kommentaren zum Abenteuer. Für die Bewertung werde ich wieder hauptsächlich auf die negativen Aspekte und mögliche Verbesserungen eingehen.
Das Abenteuer beginnt mit der Reise der Helden nach Mendena und der Prophezeiung Shayas, die den Helden mitteilt, dass sie einen Seeschlangenzahn besorgen sollen. Wie schon bei der Bewertung zum vierten Kapitel gesagt, finde ich es nicht nachvollziehbar, warum die Helden nach Mendena reisen sollen. Ingame gibt es keine logischen Erklärungen – keine Spuren, keine Hinweise, nichts – , sondern die Helden handeln nur so, weil Shaya einen Traum hatte und es prophezeit – sprich, weil der Meister es ihnen sagt. An diesem Abenteuer zeigt sich sehr deutlich, welche große Bedeutung die Prophezeiungen für das Abenteuerdesign haben, denn ohne den göttlichen Fingerzeig werden die Helden nicht wissen, was sie tun müssen und wo sie diese Aufgabe erledigen können. Ich habe mich dazu entschieden, die Helden nach Festum reisen zu lassen, da die für Mendena vorgesehene Begegnung mit Bacha genauso gut wenn nicht sogar noch besser in Festum stattfinden kann.
Vor Ort gibt es leider keine Möglichkeit, Nachforschungen über Seeschlangen anzustellen. Das Abenteuer bietet zwar später einen ingame-Text über Seeschlangen, aber keine weiteren Hinweise. Ich finde es ebenfalls schade, dass eventuelle Nachforschungen der Helden keinen Einfluss auf den Kampf haben. Es wäre schön gewesen, gerade wenig kampfstarken, dafür aber gebildeten Helden eine Handlungsmöglichkeit zu geben.
In Mendena sollen die Helden dann auf Kapitän Bacha und sein Schiff, die
Sturmvogel treffen. Gut gefällt mir der Abschnitt zu den Gerüchten über Bacha, der stimmungsvoll ist und einen interessanten Rahmen für die Haijagd bietet. Die Anspielungen auf Moby Dick sind natürlich nicht zu übersehen, auch wenn in der Neuauflage die Namen geändert wurden, aber zumindest in meiner Runde war das nicht von Nachteil. Wer Zeit und Muße hat, sollte Moby Dick als Inspiration lesen; wem (wie mir) Melvilles Stil zu langatmig ist, der sollte sich stattdessen den Bericht der wahren Begebenheit zu Gemüte führen, die Melville als Grundlage für seinen Roman diente (Owen Chase – NARRATIVE OF THE MOST EXTRAORDINARY AND DISTRESSING SHIPWRECK OF THE
WHALE-SHIP ESSEX). Wenn man Bachas Geschichte noch etwas erweitert (Beispiele findet Ihr in meinem Spielbericht), kann man einen guten tragischen NSC einführen, der das Abenteuer auf jeden Fall bereichert.
Ansonsten gibt es in Mendena nicht viel zu erledigen und die Helden werden sich recht schnell an Bord der
Sturmvogel wiederfinden. Sie segeln los und gehen dann vor der maraskanischen Ostküste auf Haijagd. Dieser Teil war nicht gerade spannend. Zum einen schlägt das Abenteuer vor, jeden Tag eine Zufallsbegegnung auszuwürfeln und solange herumzuschippern, bis man eine 20 würfelt und auf die Seeschlangen trifft. Aus Zeitgründen habe ich nur eine einzige Haibegegnung ausgespielt und den Rest erzählerisch gelöst. Dieser Kampf gegen einen Tigerhai war unspektakulär, was hauptsächlich am DSA4.1-Kampfsystem liegt. Zum anderen dienen diese Kämpfe nur als Lückenfüller, ohne die Handlung in irgendeiner Weise voranzutreiben. Es gibt keine besonderen Aufgaben oder Herausforderungen, die die Helden erfüllen müssen, sondern die Kämpfe werden anhand einer Zufallstabelle für die Aktionen der Haie abgewickelt. Diese Idee gefiel mir hingegen zunächst sehr, weil so nicht vorhersehbar ist, was im Kampf geschehen wird, was die Spannung auch für den SL erhöht. In der Praxis war es allerdings ein sehr einseitiger Kampf.
Ebenfalls nicht thematisiert wird das Leben an Bord und die Interaktion mit der Mannschaft. Es gibt einige wenige Ansatzpunkte im Charakter der NSCs (z.B. Pequod und der Herzraum), aber insgesamt bleibt die Mannschaft eher farblos. Es würde sich hier beispielsweise anbieten, dass die Helden zu Beginn der Reise einen schweren Stand haben, weil sie neu an Bord sind, und sich den Respekt der Mannschaft erst noch verdienen müssen. Auch gesellschaftlich versierte Helden könnten auf diese Weise einen nützlichen Beitrag zum Verlauf dieses sehr kampflastigen Abenteuers leisten.
Für einen absolut schweren Fehler halte ich es dagegen, dass das Abenteuer die Namenlosen Tage nicht berücksichtigt, die durchaus mit der Haijagd oder dem Kampf gegen die Seeschlangen zusammenfallen können (siehe Zeittafel im Anhang). Es wird mit einem Satz gestreift, aber ansonsten vollkommen ignoriert. Eine verpasste Gelegenheit und sehr ärgerlich; so etwas darf nicht passieren und hier hätte die Überarbeitung neue Inhalte ergänzen müssen.
Ich habe mir für die Namenlosen Tage daher selbst ein kleines Intermezzo ausgedacht. Wie das abgelaufen ist, könnt Ihr in meinem Spielbericht nachlesen. Eine entsprechende Spielhilfe werde ich beim Phileassonprojekt erstellen.
Schließlich kommt es zum Kampf mit den Seeschlangen. Hier erwartete mich die größte Enttäuschung, denn das Abenteuer geht davon aus, dass die Helden diesen Kampf nicht gewinnen werden. Deshalb soll der SL sich auch bemühen, einen dramaturgisch spannenden Kampf zu inszenieren, bei dem der Ausgang aber von vornherein feststeht. Der SL wird sogar explizit aufgefordert, seinen Spielern etwas vorzugaukeln:
Phileassonsaga hat geschrieben:„Natürlich sollten Ihre Spieler nicht merken, dass der Ablauf des Geschehens schon vorskizziert ist. Geben Sie Ihnen immer wieder eine vermeintliche Chance, den Seeschlangen zu entkommen.“
Solche Sätze möchte ich in einem Abenteuer nicht lesen.
Nun muss man den Autoren zugute halten, dass sie auf die Möglichkeit eingehen, dass die Helden gewinnen. Die Chancen dafür stehen auch gar nicht mal so schlecht, denn die Seeschlangen verfügen über miserable Kampfwerte (AT 8) und die
Sturmvogel hat immerhin 16 Hailanzen an Bord sowie genügend Matrosen, die damit umgehen können. Wenn die Helden dann noch über Kampfzauber oder Fernkampfwaffen verfügen, dürften die Seeschlangen einen schwere Stand haben.
Trotzdem gibt das Abenteuer dem Spielleiter keine Hilfen, wie er diesen gewaltigen Kampf mit über 70 Beteiligten handhaben soll. Für die NSCs sind nur unvollständige Werte angegeben; keiner der NSCs hat Werte in Klettern, Schwimmen oder Körperbeherrschung, was die Handlungsmöglichkeiten arg einschränkt. Für den Efferdgeweihten Pequod werden keine Liturgien genannt.
Vermutlich werden Phileasson, Bacha und die
Sturmvogel also versuchen zu fliehen. Versuchen wohlgemerkt, denn die Flucht ist im Grunde unmöglich: Die Seeschlangen haben eine GS von 10, also 10 Schritt pro Sekunde oder 36 Meilen pro Stunde. Die
Sturmvogel macht bei bestem Wind gerade mal 15 Meilen pro Stunde. Egal, was für Manöver Bacha und Phileasson also fahren, die Seeschlangen werden die
Sturmvogel immer problemlos einholen und angreifen können. Das Abenteuer gibt deshalb vor, dass die Seeschlangen bei Sonnenuntergang von der
Sturmvogel ablassen; die Helden müssen also eine halbe Stunde die Angriffe der Seeschlangen ertragen. In einer halben Stunde sollte es den Seeungeheuern möglich sein, das gesamte Schiff zu zerlegen. Ein weiterer grober Schnitzer, dass das Abenteuer auf diese offensichtlichen Probleme nicht eingeht.
Ich sehe zwei Möglichkeiten: Entweder handelt man den Kampf gegen die Seeschlangen erzählerisch ab: Die Helden treffen auf die Seeschlangen, sehen ein, dass sie dieser Herausforderung nicht gewachsen sind und ergreifen die Flucht. Der SL beschreibt die Zerstörungen, die die Seeschlangen am Schiff anrichten und wie viele Matrosen den Tod finden. Alle sind sich darüber im Klaren, dass die Szene so vorgeschrieben ist und man daran nichts ändern kann.
Oder man versucht den Kampf irgendwie am Spieltisch umzusetzen. Ich habe mich für diese Möglichkeit entschieden und eine umfassende Spielhilfe zusammengestellt, die in geraumer Zukunft beim Phileassonprojekt zu finden sein wird (die Betaversion ist ja jetzt schon in diesem Forum und beim Phileassonprojekt verlinkt). Für die Erstellung dieser Spielhilfe war das Abenteuer immerhin einigermaßen nutzbar, da die vorgeschlagenen Ereignisse sich gut umsetzen ließen (z.B. die beschriebenen Angriffe aufs Schiff).
Über den Rest des Abenteuers kann ich leider nur auf Grundlage der Lektüre schreiben, da meine Helden tatsächlich siegreich waren und eine der Seeschlangen erschlagen konnten.
Schwer beschädigt läuft die
Sturmvogel Boran an, wo die Helden Kontakt mit dem Freibeuter Kodnas Han aufnehmen sollen. Dieser Abschnitt ist, soweit ich das überblicken kann, in Ordnung. Ich finde es schade, dass Kapitän Bacha und sein Schicksal nicht weiter behandelt werden: Der unglückliche Mann hat vermutlich gerade einen Teil seiner Mannschaft verloren und sein Schiff wurde von Seeschlangen zerfetzt! Wie reagiert Phileasson darauf? Gar nicht. Es wäre schön, wenn das Nachspiel des Kampfes in irgendeiner Weise geschildert werden würde. Man könnte zum Beispiel Kodnas Han streichen und stattdessen erneut mit Bacha auf Fahrt gehen: Phileasson fühlt sich dem unglücklichen Kapitän verpflichtet und möchte ihm helfen, seinen Verlust und Schaden zu ersetzen. Darum verspricht er ihm einen Teil der Beute, die beim Plündern des Friedhofes der Seeschlangen anfällt, wenn er erneut die
Sturmvogel benutzen darf.
Anschließend reisen die Helden zum Friedhof der Seeschlangen, um dort einen Zahn zu finden. Da Beorn alle Zähne zerstört hat, müssen die Helden eine altersschwache Seeschlange töten, die zufällig hinzukommt. Mir gefällt diese Vorgehensweise nicht: Erstens ist Beorns Handlung unglaubwürdig (da es ein Riesenaufwand ist), zweitens wird den Helden hier sozusagen auf die Nase gebunden, dass sie für den Kampf gegen eine „echte“ Seeschlange nicht heldenhaft genug sind (über diesen Kampf wird man wohl keine gute Saga dichten können), und drittens wirkt das Ganze schon arg konstruiert und sehr „zufällig“. Besser wäre es, wenn die Helden sich einen Weg ins Unheiligtum bahnen müssen, vorbei an Wachen und anderen Kreaturen, um einen der von den Priestern gut aufbewahrten Seeschlangenzähne zu ergattern. Hier könnten Beorn und Phileasson sogar erneut aufeinander treffen, wobei Beorn dann versucht Phileasson eins auszuwischen, indem er die Wachen auf ihn aufmerksam macht oder dergleichen.
Wenn die Helden dann einen Zahn haben, segeln sie mit Kodnas Han wieder davon. Das Abenteuer schlägt nun einen Kampf gegen ein Schiff der Perlenmeerflotte vor, einfach so, weil Kodnas Han der Meinung ist, er müsste den Helden und vor allem Phileasson jetzt mal beweisen, dass er auch ein toller Hecht ist! Es wird sogar explizit gesagt, dass man ihn davon nicht abbringen kann. Das Abenteuer schlägt vor, dass man das Gefecht nach den Seekampfregeln aus Efferds Wogen abhandeln könne. Beide Vorschläge sollte man getrost ignorieren, denn die Begegnung bringt dem Abenteuer keinen Mehrwert (dadurch soll nur erklärt werden, warum die Seeadler von Beilunk später Jagd auf Kodnas Han und die Helden macht, aber das kann man sich getrost komplett schenken) und die Seekampfregeln von DSA sind selbst ein Ungeheuer.
Damit endet das Abenteuer und die Helden erhalten 300 bis 400 AP, was meiner Meinung nach viel zu wenig ist.
Einige kurze positive und negative Aspekte:
Positiv:
- - starkes Thema: Die Jagd auf eine Seeschlange ist gerade für Thorwaler eine wirklich heldenhafte Herausforderung! Auch für alle anderen Helden und vor allem für die Spieler dürfte dies eine einmalige Gelegenheit sein. Zumindest in meiner Runde gab es noch kein Zusammentreffen mit Seeschlangen
- gute Hintergrundgeschichte: Kapitän Bachas Geschichte kann einen guten Kontrast bilden zum Hauptstrang des Abenteuers; hier hat man einen Mann, der einen schweren Schicksalsschlag hinnehmen musste und darüber fast wahnsinnig geworden ist. Wenn man seinen Hintergrund noch etwas ausschmückt, kann er als Beispiel dafür dienen, was Besessenheit aus einem Menschen machen kann; besonders etwaige Parallelen zu Phileasson sind hier gut zu gebrauchen
- Friedhof der Seeschlangen: ein interessanter Schauplatz, der ein ganz anderes Vorgehen erfordert als der Kampf gegen die Seeschlangen auf See
Negativ:
- - falsches Bild von der Sturmvogel: das Bild im Abenteuer zeigt ein normales Schiff und nicht die Sturmvogel, die zum Beispiel über ein anderes Ruder verfügt und die überall mit Haizähnen und Knochen geschmückt ist; hier wäre ein eigenes Bild von Nutzen
- keine Porträts für NSCs: Nur Bacha hat ein Porträt bekommen, alle anderen nicht; hier hätte die Überarbeitung mehr leisten können
- Fehlende Angaben bei den Haien: Bei der Haijagd wird erwähnt, dass die Haie die kleinen Boote rammen und dabei Schaden anrichten; es wird aber nicht gesagt, wie viel; bei der Übertragung ist diese Information verloren gegangen, denn im Original ist sie zu finden; ich habe im Fehlerthread beim Phileassonprojekt die entsprechenden Informationen eingetragen
- Hailanzen: Die Hailanzen stimmen hinsichtlich ihrer Regeln nicht mit schon vorhandenen Waffen wie beispielsweise dem Ogerfänger oder den Kriegspfeilen überein. Der Schaden von 2W6 + 2W20 ist ziemlich heftig.
Fazit:
Ich hatte große Erwartungen für dieses Abenteuer. Nach einem fulminanten Auftakt und drei größtenteils schlechten Abenteuern sollte hier erstmals wieder ein Höhepunkt der Saga gesetzt werden, denn es handelt sich bei dieser Aufgabe um eine klassische Heldentat. Leider hat sich diese Erwartung nicht erfüllt.
H'Rangas Kinder bietet keinen spannenden Kampf gegen ein „echtes“ Seeungeheuer, sondern nur die Hinrichtung einer sterbenden Kreatur. Ohne massiven Aufwand seitens des SLs wird man damit vorlieb nehmen müssen. Das von mir geleitete Abenteuer erhält
3 Punkte, die Vorlage schwache
3 Punkte.