Kurzfazit: Als Roman okay, als Auftakt einer Reihe vielversprechend.
Langes Fazit: Michelle Schwefel verantwortet das schlechtestes DSA-Abenteuer, das ich je gelesen habe ("Fest der Schatten") und mit dem Thorwal-Teil von UdW auch den schwächsten Teil der "grünen Reihe", den ich kenne. Deswegen war ich lange nicht besonders motiviert, die Answin-Romane anzufangen und habe jetzt erst in der Vorbereitung für meine Nostalgie-Kampagne den ersten Teil gelesen. Gemessen an meinen Erwartungen war ich positiv überrascht. Hätte ich meine Erwartungen allerdings am Hype in diesem Thread gebildet, wäre ich wiederum enttäuscht gewesen. Der Roman ist okay, gemessen an den vielen schwachen DSA-Romanen sicher einer der stärkeren, hat aber dennoch ähnlich viele Schwächen wie Stärken. Ich gebe 3 Punkte. Wenn durch die Fortsetzung einige Schwächen ausgebügelt werden, korrigiere ich zu 4.
Aventurizität: Ich fange mal mit den Stärken an und weiche dafür von meinem üblichen Schema ab: Die Aufgabe, den Wildwuchs der frühen Jahre mit späteren Retcons zu einem überzeugenden Setting zusammen zu denken ist hervorragend gemeistert. Ein weiterer Verdienst ist, die Perspektive des Hochadels zu vermitteln. Über zwanzig Jahre entwickelte Baroniespielkultur wird hier hervorragend aufgegriffen. "Macht" liefert, was mir in der "Hofmagier"-Trilogie so sehr gefehlt hat: höfische Atmosphäre.
Zwar bleiben für mich auch noch Fragen offen - warum wird das notorisch unabhängigkeitsbestrebte Albernia kaum je erwähnt, auch eine Figur wie Isora, deren Putsch parallel zur Answinkrise erfolgen wird, nicht aufgebaut? - und es gibt auch Schnitzer - gleich auf den ersten Seiten wird Silpions Material als "Maraskanstahl" bezeichnet, wo es sich doch um Endurium/Schwarzstahl handelt - aber insgesamt wäre es schwer, hier etwas anderes als 5 Punkte zu geben.
Sprache: Am stärksten sind die Dialoge, von denen es zum Glück viele gibt. Für höhere literarische Weihen fehlt es der Sprache ansonsten an Rhythmus. Aber es gibt nur wenige DSA-Romane, bei denen man überhaupt dazu kommt, sich über solche Feinheiten Gedanken zu machen. Also freue ich mich darüber, dass die üblichen Unzulänglichkeiten wie Wortwiederholungen nur selten auftauchen. Zudem wird dem Affen des Fantelalter-Sprechs ordentlich Zucker gegeben und Hundsfotte pläsieren ihre holden Damen gar minniglich.
4 Punkte von mir.
Figuren: Dann wird es dünner. Answin ist gut ausgearbeitet. Ich persönlich mag keine "Charaktere mit mehr als 110 GP" und frage mich, wieso er nicht nur der perfekte Höfling und Intrigant sein muss, sondern auch noch ein großartiger Schwertkämpfer, kompetenter Verwalter, gutaussehend usw. Über meinen persönlichen Geschmack hinaus ist zu bemängeln, dass er keine interessante Schwäche hat - Ehrgeiz und Arroganz sind dann nicht interessant, wenn sie völlig berechtigt sind, weil Answin nun einmal die klügste Person weit und breit ist.
So sind viele Figuren - Reto, Hal, Lanore, Aldessia, Alara, Dexter - interessanter als der Protagonist und bekommen dafür zu wenig Spotlight. Das wird noch deutlicher, wenn die logische Erzählhaltung - ein auktorialer Erzähler, der sich auf Answin kozentriert - immer wieder durchbrochen wird, um kurze Abschnitte aus der Perspektive von Nebenfiguren zu erzählen. Der Verlust an Klarheit in der Form sowohl im Großen - die Answin-Biographie ist eben nicht die Dexter-Biographie - wie auch im Kleinen - manchmal erfolgt der Wechsel mitten in der Szene - wird durch die gewonnen Einblicke nicht aufgewogen. Denn der glänzende Menschenkenner Answin hat sich das meiste ohnehin schon gedacht. Es wird nur deutlich, dass es durchaus spannend hätte sein können, eine gleichberechtigte zweite Perspektive einzubringen - beispielsweise Lanore, für die jeder der Erfolge Answins eine kleine Enttäuschung darstellt - statt sich so zu verzetteln.
Diesen Eindruck von Verzettelung verstärkt noch, dass in manchen Szenen das oben gelobte Interesse an der adligen Perspektive dazu führt, dass protokollarisch Namen gelistet werden - ohne dass die Figuren dahinter mit einer Funktion für die Protagonisten oder den Plot versehen oder beschrieben werden, und sei es auch nur mit Alter oder Haarfarbe.
2/5 Punkten
Handlung: Der Auftakt, in dessen Rahmen die Lesenden Retos Putsch miterleben, ist grandios. Zu dieser Höhe kommt der Roman leider kein zweites Mal. Erzählt werden - mit unterschiedlich großen Zeitsprüngen - Episoden aus Answins Leben. Je länger die Liste dieser Szenen wird, desto unklarer wird, nach welchen Kriterien diese Szenen ausgewählt wurden. Manche sind wichtig für die Konsolidierung von Retos Macht, manche für Answins Karriere. Andere sind es nicht. Und unter diesen Gesichtspunkten genauso wichtige Szenen bleiben unerzählt.
Hier ist die Hoffnung, dass der folgende Band Klarheit in die Sache bringt und erzählerisch begründet, warum die jeweilige Episode wichtig war. Sehr enttäuscht war ich von der Episode
um die Krankheit von Answins Vater Egilmar. Immer wieder wird betont, dass es dabei nicht mit rechten Dingen zugegangen sein kann. Sein eigener Großvater hält für die wahrscheinlichste Erklärung, dass Answin sich dem Namenlosen verschrieben hat (!). Das scheint aber nicht der Fall zu sein. Das Mysterium wird nicht aufgeklärt. (Ich hatte ja auf Lanore als Täterin gehofft.) Und auch die Episode plätschert einfach aus, nachdem sie den bis dato entscheidenden Spannungsbogen aufgemacht hat. Egilmar wird halt wieder gesund. Irgendwann stirbt er dann. Ende dieser Geschichte.
Gänzlich unnötig wird dieses Prinzip dann kurz vor Schluss durchbrochen, als eine Jugendliebe Answins mit einem ausführlichen Rückblick auf seine Studienzeit eingeführt wird. Außer einem Memorabia Falsifir gibt es keine plausible Erklärung, warum diese Figur und diese Geschichte nicht chronologisch im Rahmen der Szenen eingeführt werden konnte, die 300 Seiten weiter vorne während dieser Studienzeit spielen.
2/5 Punkten - ich hoffe sehr, durch die Enthüllungen aus dem zweiten Teil hier noch aufwerten zu können.