Nachdem wir mit großer Freude das Abenteuer "Vergessenes Wissen" gespielt haben, waren wir natürlich sehr neugierig zu sehen, wie nun im Roman das Abenteuer aufgegriffen wird, wie denn Escalia wohl so dargestellt wird und wie die Geschichte weitergeht. Die Idee, die Geschichte weiterzuschreiben, ist extrem vielversprechend: Man kann etwas über die Eigenheiten der Leute aus der Rohalszeit erfahren aber auch etwas zu den Entwicklungen in Eslamsgrund im Anhang an das Abenteuer. (Aktuell für das jetzige Aventurien ist das ja nicht mehr, aber wir spielen gerade in der Zeit und einer meiner Helden stammt genau aus dem Norden Ragaths. Da er Diplomat ist, fand ich natürlich extrem spannend zu sehen, was so diplomatisch derzeit dort abgeht.)
Naja, man sollte wohl an Romane keine Erwartungen haben, da wird man eher enttäuscht. Leider bringt der Roman weder meines Erachtens das Rohalsche Lebensgefühl auf den Punkt, ist aber auch kein wirklich politischer Roman (obwohl es ja eigentlich dauernd darum geht, wenn Escalia ihr Lehen zurückbekommen will...). Beides wäre aber meines Erachtens wichtig gewesen, um die Handlung spannend voranzutreiben.
Punkt 1: Menschen aus der Rohalszeit. Ich weiß nicht, ob das der Rest der DSA-Gemeinde anders sieht, aber wenn ich an eine über 100jährige Friedenszeit unter einem extrem friedlichen und weisen Reichsbehüter denke, bei der magische, wissenschaftliche und handwerkliche Künste einen Höhepunkt erreicht haben, dann ist das für mich doch eine wahre Blütezeit des Mittelreiches. Hier würde ich mir vorstellen, dass zumindest alle älteren Leute (nach heutigem aventurischen Maßstab) sehr gebildet sind (weil Rohal dafür ja ein großes Vorbild war), dass durch den Frieden und die Größe des Reichs viel Handel getrieben wurde, dass es ein Bevölkerungswachstum gegeben haben muss, dass die Handwerkskünste (und nicht nur die magischen) eine Blüte erlebten. Doch der Roman erweckt eher das Bild, dass Escalia von einem darbenden Mittelalter in die Frühe Neuzeit katapultiert wird. Ständig wundert sie sich über die neue Handwerkskünste (neue Stoffe, unbekannte Farben, die geschliffene Glaskaraffe!) und dass alles so edel und teuer aussieht, kennt alle möglichen Früchte nicht, wundert sich über große Städte, ist meines Erachtens überhaupt an Wissen und der sie umgebenden Welt nur wenig interessiert. Wieso, in aller Welt, sollen die Menschen aus der Rohalszeit so wenig Menschenmassen, Handel und Handwerkskunst gehabt haben? Ich dachte immer, in den Magierkriegen sei mehr an Wissen verloren gegangen, als wir derzeit überhaupt haben (nagut, leichte Übertreibung) und das wird ja wohl kaum nur die magischen Künste betreffen. Meines Erachtens, und das wäre das viel spannendere Konzept gewesen, hätte Escalia eher einem Menschen aus der Blütezeit der Antike gleichen sollen, der nun in eine ungebildete Phase des Mittelalters geworfen wird. Dann hätte sie sich auch nicht die ganze Zeit, wie auch schon von den Vorrednern kritisiert, dauernd über alles mögliche wundern müssen, sondern hätte auch mal klüger sein können oder zumindest mit einem rohalschen Entdeckergeist behaftet sein können.
Überhaupt, bei der Kritik an Escalia schließe ich mich meinen Vorredner*innen voll und ganz an. Gut, die Dame ist erst 18... aber dennoch dermaßen uninteressiert (anstatt das Kennenlernen anderer Adliger als wichtige Chance zu sehen, ist sie nur genervt), verbohrt (einziger Gedanke: Das ist MEINE Baronie! *mimi* anstatt mal nachzudenken, ob ihr Anspruch wirklich so felsenfest ist, wie sie glaubt. Ist er nämlich ganz und gar nicht), kurzsichtig (dauernd macht sie nur das, was ihr andere vorschlagen, denkt selber aber gar nicht nach) und impulsiv. Uff, das ist echt anstrengend und ich finde sie extrem unsympathisch. Schade, im Abenteuer war Escalia, was die Rede an die Leute angeht, doch ein Naturtalent (oder hat das mein Meister reingechrieben?)? Und wieso, obwohl sie unbedingt Baronin sein will und sich in der neuen Welt einsam fühlt, denkt sie überhaupt nicht von selbst an ihre Leute, die irgendwo verteilt wurden? Und da sind wir auch bei
Punkt 2: Dem Politischen. Da ist nun diese neue Person aus der Rohalszeit, welche die Politik in Eslamsgrund und Ragath erheblich durcheinander wirbeln könnte. Es wäre super spannend gewesen, die Adligen, die mit ihr reden wollen, genauer zu zeichnen. Ebenfalls hätte sie viel aktiver sein können, verschiedene Erwartungen, die an sie gestellt werden, gegeneinander auszuspielen. Warum sind beispielsweise die Zwerge nicht früher gekommen? Das hätte viel Potential gehabt. Warum sucht Ayla ihre Verwandte nicht selbst auf? Warum lernt Escalia in den Monaten bei dem Ritter eigentlich nicht wirklich was (und ist tatsächlich später überrascht, dass Borbarad zurückkam???! Das ist doch DAS prägende Ereignis der letzten Jahre, wieso erzählt ihr der Ritter das nicht?)? Wenn der Roman wirklich auf dem Briefspiel aufbaut, dann hätte ich persönlich auch gerne Einblicke in die politischen Ränke der Briefspieladligen gehabt. Das hätte auch ohne eine
Azaril Scharlachkraut und einen Gestaltwandler
spannend sein können, deren Auftreten meines Erachtens irgendwie aus dem Nichts kamen und völlig unnötig waren. Die Melange neuer Fremmelshofer Baron, Graf von Eslamsgrund, alte Grafenfamilie Grafenfels, alter Baron von Wertlingen, die Hahnentrittfamilie, diverse andere Barone mit eigenen Interessen sowie die handwerklich herausragenden und gebildeten Fremmelshofer Bürger*innen hätte eine prima Geschichte ergeben können, hätte man mal wirkliche Interaktionen zwischen diesen Parteien gehabt. So aber ist Escalia eigentlich immer nur am Ausweichen und lernt die Leute nur höchst sporadisch kennen - was das ganze eher zu einem langweiligen Reiseroman denn einem spannenden und erhellenden politischen Roman macht. Für mein eigenes Rollenspiel kann ich leider nur sehr wenig verwerten.
Leider nur 2 von 5 Punkten.