Wir haben es in unsere Svelltland-Kampagne eingebaut und dies kann ich auch nur jedem ans Herz legen. Schade, dass dieses Abenteuer so unbekannt ist.
Worum geht es?
Die Story ist recht klassisch: Tiefhusen steht unter orkischer Besatzung und bemüht sich um halbwegs gelebte Normalität, sodass zwischen Orks und Menschen eine halbwegs labile Toleranz gelebt wird, die u.a. durch den (für Orkverhältnisse geradezu menschenfreundlichen) Statthalter Shadur ermöglicht wird (den meine Heldengruppe noch niedrigrangiger aus "Zahltag" kennen). Dies bedeutet nicht, dass sich jeder Mensch mit der Herrschaft der Orks abgefunden hat, und auch nicht jeder Ork ist mit dieser "Verweichlichung" der Orks einverstanden. Als es auf einem Ball des tiefhusener Königs zur Ermordung von Orks und dem Diebstahl des Königsartefakts kommt, droht die Situation zu eskalieren. Um sich Zeit zu erkaufen, begibt sich der König freiwillig als Pfand in die Hände Shadurs, damit unabhängige Ermittler (unsere Heldengruppe) den Fall lösen können. Während die SC ermitteln, treiben Aufrührer in der Stadt ihr Unwesen und gießen zunehmend Öl ins Feuer... Doch selbst wenn die Rebellion der Menschen kurzfristig erfolgreich wäre, würde der Rückschlag der Orks Tiefhusen auslöschen. Schnell wird der "kleine Detektivplot" zum Wettlauf gegen die Zeit, um eine größere Tragödie aufzuhalten...
Was gefällt mir am Abenteuer?
Obwohl das Abenteuer nur wenig Raum im HC-Band einnimmt, ist es sehr detailliert ausgearbeitet worden. Der Spielleiter erhält detaillierte Informationen darüber, was wann wo zu welchem Zeitpunkt in der Stadt geschieht, während die Helden ermitteln. Schnell entsteht bei den Helden das Gefühl, dass die Situationen an verschiedenen Stellen eskaliert und neben der Ermittlung herrscht Zeitdruck, damit einem der Kessel nicht um die Ohren fliegt. Neben der Ermittlung müssen die Helden zunehmend deeskalieren und an allen Ecken und Enden geschehen kleine und große Geschichten. Die Lore um den ehemaligen Rondra-Tempel, der nun zum Tairach-Tempel umfunktioniert wurde, und eine Delegation Rondra-Geweihter, die nicht akzeptieren wollen, dass die Gebeine einer Heiligen nun Orkgötzen zu Diensten sein sollen - ein verärgerter Boroni - gefesselte Seelen in der geschleiften Burgruine - eine Elfe, die versucht, möglichst wenig aufzufallen, um von den Orks nicht zerquetscht zu werden - Einbrecher, die gezielt "Orkfreunde" (also Profiteure der Besatzung) bestehlen - die Konkurrenz unter den königlichen Geschwistern - die Provokation eines Orkhäuptlings Richtung weidener Thronfolger - der versteckte Phextempel und sein Rätsel, um eingelassen zu werden - unterschiedliche Lager innerhalb der Orkbesatzung... Hier geschieht einfach sehr, sehr viel in sehr kurzer Zeit, sodass die SCkaum wissen, worum sie sich zuerst kümmern sollen - denn im Hintergrund lauert die fortschreitende Zeit und überall rottet sich Pöbel zusammen. Das Abenteuer hat sehr schön an verschiedenenen Stellen zusammengefasst, welche Hints an welcher Stelle gefunden werden können. Eine Tabelle bemüht sich um einen Überblick über die zunehmende Entwicklung. An allen relevanten Stellen bemüht sich das Abenteuer um konkrete Hinweise nach dem Motto: "Wenn die SC dies zu diesem Zeitpunkt erreicht haben, passiert hier dies und sie könnten so weitermachen". Die Taten der Helden haben sowohl innerhalb des Abenteuers direkt Auswirkungen, aber auch darüber hinaus: Immerhin könnte Tiefhusen geschleift werden!
Was gefällt mir eher nicht?
Die Komplexität im Hintergrund tendiert dazu, die SC zu überfordern, die unter Zeitdruck entscheiden müssen, welche Plotelemente ermittlungsrelevant sind und welche nicht. Meine Gruppe bemühte sich zunehmend darum, irgendwie den roten Faden nicht zu verlieren und ich hatte stetig das Gefühl, ich müssen sie etwas mehr railroaden, damit sie überhaupt noch wissen, wo sie jetzt hinmüssen. Die Gefahr ist sehr groß, dass sehr schnell das Hauptaugenmerk auf der Deeskalation innerhalb der Stadt liegt, was aber fatal ist - denn ohne den gelösten Fall ist dies nur das Löschen kleinerer Brandherde in einem trockenen Sommerwald. Der Gruppe müsste schnell bewusst werden, dass sie sie auf die Falllösung fokussieren müssen und bestenfalls nebenbei deeskalieren, weil sonst alle Eskalationsherde gleichzeitig explodieren. Andererseits geschieht das Explodieren schneller, wenn die Helden nicht eingreifen. Ein Teufelskreis! Wie gesagt: Ich habe die Gruppe ab einem gewissen Zeitpunkt recht brutal geschubst bzw. "zufällig" entscheidende Begegnungen ermöglicht. Was mich zum nächsten Problem bringt: Für die Spieler könnte das Abenteuer recht klassisch anmuten, der Hauptstress liegt beim Meister! Ich hatte meine liebe Mühe, die Vielzahl der unterschiedlichen Brandherde in ihrer zeitlichen Eskalationsstufigkeit im Blick zu behalten und immer wieder nachzuvollziehen, welcher NSC gerade wo eigentlich ist, was er dort tut und was er bereits getan hat, was dann wiederum Einfluss auf andere Brandherde hat und darauf, welche neuen Clues die Helden nun wo erhalten können und welche nun nicht mehr verfügbar sind. Gleichzeitig musste ich die Interaktion mit der Spielergruppe souverän weitergestalten und dabei keine Details auslassen, die im vorliegenden Fall entscheidend sind. Mehr als einmal habe ich wichtige Informationen in der Hektik übersehen und dann nachträglich "zufällig" zugänglich gemacht. Die abschließende Aushandlung eines neuen Friedensabkommens inkl. Berechnungstabelle für beide Seiten (Orks und Menschen) ist zwar nett angedacht, nach der schweißtreibenden Adrenalinhatz für Meister wie SC aber für uns nicht mehr spielbar gewesen, weshalb wir das ingame delegiert haben.
Was empfehle ich Meistern bei der Vorbereitung und Durchführung?
- Für jeden Brandherd habe ich mir ein eigenes Handout erstellt mit Grundlegenden Plotelementen, optionalen Elementen, aber auch einer Eskalationstabelle (was geschieht bei welcher Eskalationsstufe) und einer im Flowchart visualisierten Übersicht, was dort geschieht, wenn es sich um den Ort des Finales handelt und welche Optionen es dann dort geben kann
Ich habe eine Übersicht erstellt mit Ermittlungsrichtungen, wie lange diese Ermittlung dauert (hier wird in Zeitpunkten/ZP gerechnet) und auf welcher Seite ich Details finde - sonst ist man sehr schnell sehr verloren und weiß überhaupt nicht mehr, wo man was wiederfindet
Ich habe für jeden Brandherd ein Glas aufgestellt und die ZP in Form von Pralinen eingeworfen, damit den SC klar wird, dass hier eine Eskalation stattfindet bzw. nach erfolgreicher Deeskalation Pralinen wieder entfernt - gleichzeitig konnte ich dann während des Spiels immer schnell nachzählen, wie viele Eskalationsstufen an dem Ort bereits gesammelt wurden, um dann auf meiner Ortsübersicht nachzuschauen, was dann dort gerade geschieht, welche NSCs anwesend sind usw.
Für meine SC habe ich eine Zeittabelle erstellt, in die ich im Halbstundentakt eingetragen habe, wo sie gerade sind und was sie tun - zuvor habe ich mir wesentliche Ereignisse zu den jeweiligen Uhrzeiten vornotiert, damit ich diese im Chaos nicht vergesse bzw. direkt sehe "Ah, da passiert jetzt gerade das"
Fazit
Ein in manchen Fällen extrem detailliert ausgearbeitetes Abenteuer mit vielen, vielen Elementen, die unter Zeitdruck im Blick behalten werden müssen und viel Spannung bieten - in anderen Fällen (vor allem der Darstellung der Stadt selbst - immerhin handelt es sich um eine Sandbox) ist zu wenig ausgearbeitet, sodass die Spielleitung viel Arbeit übernehmen und improvisieren muss. Mir fallen die Adjektive "Stressig, hektisch, spannend, relevant, mitreißend" ein, weshalb ich dem Abenteuer mehr Aufmerksamkeit wünsche. Es muss aber mit Vorsicht angefasst und durchgeführt werden.
4 Punkte